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1. Auszug aus dem Urteil der
ARK vom 6. Dezember 1994
i.S. M.B. und Familie, Türkei
Grundsatzentscheid:
Artikel 3 Absatz 1 und 2 AsylG: Anerkennung der
Kollektivverfolgung der Glaubensgemeinschaft der Yeziden in der
Türkei; direkte und mittelbare staatliche Verfolgung.
1. Die Glaubensgemeinschaft der Yeziden und deren
Situation in der Türkei (Erw. 4c bis e).
2. Die Rolle des türkischen Staates: direkte staatliche
und vom Staat geduldete, teils aktiv unterstützte
Verfolgungsmassnahmen seitens Dritter (mittelbare staatliche
Verfolgung; Erw. 5).
3. Begriff der Kollektivverfolgung: Die gezielten,
häufigen und andauernden Massnahmen müssen sich grundsätzlich
gegen alle Mitglieder des Kollektivs richten, so dass der
Einzelne aus der erheblichen Wahrscheinlichkeit heraus, selbst
verfolgt zu werden, begründete Furcht hat (Erw. 6a).
4. a) Im Fall der Yeziden gehen die Verfolgungsmassnahmen
weit über das hinaus, was andere religiöse oder ethnische Gruppen
der Türkei an Benachteiligungen und Schikanen hinzunehmen haben;
diese Massnahmen sind mithin gezielt gegen die Yeziden als
Glaubensgemeinschaft gerichtet und genügen der von Artikel 3
Absatz 1 AsylG geforderten Intensität (Erw. 6b).
b) Die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Yeziden
genügt, um Ziel der (unmittelbaren und mittelbaren) staatlichen
Verfolgung zu werden; dadurch sind die Anforderungen an die
begründete Furcht vor Verfolgung herabgesetzt (Erw. 7a); die
Flüchtlingseigenschaft ist allein aufgrund der Zugehörigkeit zur
Glaubensgemeinschaft der Yeziden insgesamt zu bejahen,
Asylausschlussgründe sind vorliegend keine gegeben, weshalb das
Asyl zu gewähren ist (Erw. 7b und c).
[1] Entscheid über eine Rechtsfrage
von grundsätzlicher Bedeutung gemäss Art. 12 Abs. 2 Bst. a der
Verordnung über die Schweizerische Asylrekurskommission (VOARK;
SR 142.317).
Décision de principe :
[2]
Art. 3, al. 1 et 2 LA : reconnaissance du caractère
collectif de la persécution de la communauté de croyance yézidi
en Turquie; persécution étatique directe et indirecte.
1. Situation de la communauté de croyance yézidi en
Turquie (consid. 4c - e).
2. Rôle de l'Etat turc : persécution étatique directe et
persécution de tiers soit tolérée, soit soutenue activement
(persécution étatique indirecte; consid. 5).
3. Notion de persécution collective : les mesures de
persécution doivent être ciblées, fréquentes et durables et en
principe dirigées contre tous les membres de la communauté, de
telle sorte que chacun d'en-tre eux éprouve une crainte fondée
d'être lui-même persécuté avec une grande probabi-lité (consid.
6a).
4. a) Les mesures de persécution visant la communauté de
croyance yézidi dépassent largement les préjudices et
tracasseries subis en Turquie par d'autres groupes religieux ou
ethniques; de ce fait, ces mesures ont le caractère ciblé et le
degré d'intensité exigés par l'ar-ticle 3, 1er alinéa LA (consid.
6b).
b) L'appartenance à la communauté yézidi suffit pour
devenir la cible de persécutions étatiques (directes ou
indirectes); pour cette raison, les exigences en matière de
crainte fondée de persécution sont réduites (consid. 7a). La
qualité de réfugié fondée sur la seule appartenance à la
communauté yézidi doit être reconnue et, en l'absence de motifs
d'exclusion, l'asile doit être accordé (consid. 7b et c)
[2] Décision sur une question
juridique de principe selon l'article 12, 2e alinéa, lettre a de
l'Ordonnance concernant la Commission suisse de recours en
matière d'asile (OCRA; RS 142.317)
Decisione di principio:
[3]
Art. 3 cpv. 1 e 2 LA: riconoscimento del carattere
collettivo della persecuzione della comunità degli iazidi in
Turchia; persecuzione statale diretta ed indiretta.
1. Situazione della comunità degli iazidi in Turchia
(consid. 4c - e).
2. Ruolo dello Stato turco: persecuzione statale diretta,
nonché tolleranza, vuoi sostegno nei confronti di atti di
persecuzione da parte di terze persone perpetrati contro gli
iazidi (persecuzione statale indiretta; consid. 5).
3. Nozione di persecuzione collettiva: solo ove le misure
di persecuzione siano dirette contro tutti i membri della
comunità, e siano nel contempo frequenti e persistenti, i singoli
individui facenti parte di tale comunità potranno far valere con
successo l'esistenza di un fondato timore di future persecuzioni
(consid. 6a).
4. a) Gli atti di persecuzione cui risultano esposti gli
iazidi superano largamente i pregiudizi e le vessazioni subiti da
altri gruppi religiosi o etnici; questi atti di persecuzione
devono indendersi diretti contro la comunità degli iazidi in
quanto tale e nel suo insieme, e altresì soddisfano il requisito
della gravità (art. 3 LA; consid. 6b).
b) La sola appartenenza alla minoranza degli iazidi è
sufficiente, in Turchia, per essere considerati esposti a
persecuzioni statali (dirette od indirette); ne deriva che
l'esigenza della dimostrazione dell'esistenza di un fondato
timore risulta essere ridotta (consid. 7a). La qualità di
rifugiato va di regola riconosciuta già in base alla semplice
appartenenza alla comunità degli iazidi, riservati i motivi
d'esclusione (consid. 7b e c).
[3] Decisione su questione giuridica
di principio conformemente all'art. 12 cpv. 2 lett. a
dell'ordinanza concernente la Commissione svizzera di ricorso in
materia d'asilo (OCRA; RS 142.317).
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Die Beschwerdeführer
sind yezidische Glaubensangehörige kurdischer Ethnie. Sie
verliessen die Türkei im September 1989 und reichten im gleichen
Monat in der Schweiz ein Asylgesuch ein. In der kantonalen
Befragung vom Dezember 1989 und in der Anhörung beim BFF vom
November 1992 brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor,
er habe sich zwar politisch nicht engagiert, jedoch mit seiner
Familie (Eltern und Geschwister) verschiedene kurdische
Organisationen mit Geld und Lebensmitteln und - sofern verlangt -
mit unterschiedlichen Informationen unterstützt. Es habe sich
später ergeben, dass sich zum Teil Soldaten als PKK-Kämpfer
ausgegeben hätten, um in der Folge gegen die Yezidi vorgehen zu
können.
Seine Probleme wegen seiner Zugehörigkeit zur
Glaubensgemeinschaft der Yezidi hätten bereits in seiner
Jugendzeit begonnen. Insbesondere seien er und die Familie von
der moslemischen Bevölkerung unterdrückt worden, und auch die
Kurden hätten sie nicht akzeptiert. Sein Heimatdorf in der
Provinz Sanliurfa sei ausschliesslich von Yezidi bewohnt gewesen.
Die umliegenden Dörfer hätten in der Mehrheit Muslims bewohnt.
Von diesen seien sie ständig unterdrückt worden. Die jungen
yezidischen Mädchen seien ständig in Gefahr gewesen, entführt,
zwangsislamisiert und unter Umständen sogar vergewaltigt zu
werden; in seinem Heimatdorf sei dies drei Mädchen widerfahren,
wobei eines der Mädchen zu seiner Sippe gehört habe. Es sei in
jedem Fall erfolglos versucht worden, Anzeige zu erstatten. Die
Kinder könnten nicht oder nur in einer benachbarten Ortschaft zur
Schule gehen und würden dabei zur Teilnahme am islamischen
Unterricht gezwungen. Sodann werde die Bewegungsfreiheit der
Yezidi durch schikanöse Identitätskontrollen erheblich
eingeschränkt. Schliesslich sei immer wieder Militär ins Dorf
gekommen und habe die Bevölkerung unter dem Vorwurf, die PKK zu
unterstützen, auf dem Dorfplatz versammelt, geschlagen und
schikaniert; auch seien die Häuser durchsucht worden. Er selber
sei mit anderen Personen seit etwa zwei oder drei Jahren immer
wieder auf den Posten von Karakuzu gebracht und dort der
Unterstützung der PKK bezichtigt worden. Dabei seien sie
geschlagen worden. Aus Mangel an Beweisen sei er jeweils nach
einigen Stunden wieder freigekommen. Der militärische Druck habe
sich immer mehr verstärkt, weshalb seine Familie im Jahr 1987/88
vom angestammten Dorf in das 20 bis 25 Kilometer entfernte
Nachbardorf V. umgezogen sei. Dort habe er auch im Jahr 1989
geheiratet. Sie seien jedoch auch in V. ständig von den Behörden
und der moslemischen Bevölkerung schikaniert worden. Der
Beschwerdeführer sei wiederholt festgenommen worden, das letzte
Mal etwa eine Woche vor der
Ausreise. Deshalb seien sie
zunächst ins Heimatdorf zurückgekehrt. Nach zwei bis drei Tagen
seien sie zu seinen Schwiegereltern gegangen und hätten die
persönliche Habe der Ehefrau abgeholt, bevor sie die Türkei
endgültig verlassen hätten.
Die Beschwerdeführerin bestätigte die Angaben des
Beschwerdeführers hinsichtlich der Situation der Yezidi
namentlich in der Umgebung von V. So habe sie sich während des
Aufenthalts in V. aus Angst vor der moslemischen Nachbarschaft
nicht getraut, aus dem Haus zu gehen. In den letzten sechs bis
sieben Jahren vor ihrer Ausreise sei in ihrem Heimatdorf dasselbe
geschehen wie in jenem des Ehemannes. Die Soldaten seien immer
wieder gekommen, hätten willkürliche Festnahmen vorgenommen und
die Leute - so auch ihren Vater und Bruder - geschlagen. Eine
Cousine von ihr sei entführt worden und seither spurlos
verschwunden. Sie habe wie alle Frauen Angst vor Entführung und
Zwangsislamisierung gehabt. Indessen sei sie persönlich, da sie
jegliche Kontakte mit den Behörden gemieden habe, nie geschlagen
worden. Als schwangere Frau habe sie zudem Angst gehabt, zu einem
(türkischen, muslimischen) Arzt zu gehen.
Mit Verfügung vom 16. Dezember 1993 lehnte die Vorinstanz das
Asylgesuch der Beschwerdeführer ab und ordnete deren Wegweisung
aus der Schweiz an. Gleichzeitig ordnete das BFF die vorläufige
Aufnahme an, da den Beschwerdeführern unter Berücksichtigung der
gesamten Umstände eine allfällige Rückkehr in die von den meisten
Yezidi inzwischen verlassenen Heimatdörfer in der Osttürkei
ebensowenig zugemutet werden könne wie eine soziale Integration
in einer für sie, angesichts ihrer sozialen Herkunft, völlig
fremden Umgebung einer Grossstadt im Westen der Türkei. Der
Vollzug der Wegweisung würde demnach eine unzumutbare Härte für
die Beschwerdeführer darstellen.
Mit Eingabe vom 21. Januar 1994 beantragen die Beschwerdeführer
durch ihre Rechtsvertreterin unter Kostenfolge zu Lasten des
Beschwerdegegners die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung
und die Gewährung des Asyls.
Die Vorinstanz schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung
der Beschwerde.
Die ARK heisst die Beschwerde gut und weist das BFF an, den
Beschwerdeführern Asyl zu erteilen.
Aus den Erwägungen:
4. a) Die Vorinstanz erachtete die aufgrund der Zugehörigkeit zur
yezidischen Glaubensgemeinschaft erlittenen Nachteile als nicht
asylrelevant. So sei den Ausführungen nicht zu entnehmen, die
Beschwerdeführer seien im Kernbereich ihrer religiösen
Persönlichkeit getroffen worden oder gezielten Massnahmen
unterworfen gewesen, die sie ihrer religiösen Identität beraubt
hätten.
b) Hierzu machen die Beschwerdeführer geltend, die sie
betreffende asylbegründende Gefährdungssituation stehe in
direktem Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit der
Yeziden. In der Folge wird unter Hinweis auf umfangreiches
Informationsmaterial (Gutachten, Referate, bundesdeutsche
Rechtsprechung sowie anderweitige Asylverfahren in der Schweiz)
die Situation der Yezidi erläutert. Es wird dabei beantragt, die
in anderen Asylverfahren bereits eingereichten Unterlagen
beizuziehen. Diesem Antrag entsprechend hat die ARK diese
Unterlagen, nebst den eigenen länderspezifischen Unterlagen,
konsultiert.
c) Die Schilderungen der Beschwerdeführer zur Situation der
Yeziden anlässlich der Befragungen sowie in der
Rechtsmitteleingabe entsprechen den länderspezifischen
Kenntnissen der urteilenden Behörde.
Die Yeziden sind Anhänger eines Glaubens, der alte heidnische
Bestandteile, iranisch-zoroastrische Elemente, islamische (der
Islam bildet ursprünglich die Grundlage) und schamanische
(Beerdigung, Traumorakel, Tänze) sowie Elemente aus dem
Christentum (Taufe, Besuch von christlichen Kirchen bei
Hochzeiten usw.) und Judentum (Speisegebote) übernommen hat. Von
den Moslems werden sie daher als Ungläubige bezeichnet. Im
Zentrum des yezidischen Glaubens steht der Engel Pfau oder Melek
Tau, der eins ist mit Gott; Gott ist nur der Schöpfer, der Engel
Pfau ist das tätige, ausführende Organ. Die Yeziden praktizieren
ihren Glauben geheim; sie unterliegen dem "taqiyeh", das heisst,
sie sollen sich nach aussen defensiv verhalten und Gott und den
Engel Pfau nicht verleugnen, die Gemeinsamkeiten aber dort
anerkennen, wo sie mit anderen Buchreligionen vereinbar sind. Die
eine letzte Stufe des "taqiyeh" darf nicht überschritten werden:
die Leugnung Gottes. Aufgrund der zunehmend ausgeweiteten
Handhabung dieser defensiven Haltung ist dem "gewöhnlichen"
gläubigen Yeziden der angemessene Einblick in die Mysterien
seiner eigenen Religion abhanden gekommen. Ihm bleibt nur, sich
streng an die auferlegten fünf Pflichten, die für jeden Yeziden
jeden Ranges gelten, zu halten (ausführlich, vgl. Gutachten A.
Sternberg-Spohr, 1988, Zentrale Dokumentationsstelle der Freien
Wohlfahrtspflege für Flüchtlinge e.V. [ZDWF], S. 5 ff.).
d) Aufgrund dieser für Aussenstehende fremd wirkenden Religion,
verbunden mit ihren zahlreichen Tabus (u.a. Essens- und
Kleiderregeln) wird den Yeziden bereits ein grundsätzliches
Misstrauen, eine Grundverachtung, entgegengebracht. Folge ist,
dass die Yeziden seit Jahrhunderten verfolgt wurden und werden
(Gutachten A. Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 16 f. und S. 25 ff.).
Die Diskriminierungen beginnen bereits für die Schulkinder. Im
Jahr 1983 wurde der islamische Religionsunterricht in allen
türkischen Schulen als Pflichtfach eingeführt. Den Yeziden ist es
jedoch unter Androhung der Exkommunikation untersagt, das
Glaubensbekenntnis der Muslime, welches in der 112. Sure des
Koran enthalten ist, auszusprechen, weil es den Engel Pfau
verleugnet. Den nicht-islamischen Schülern werden indessen
islamische Religionsstunden zwangsweise erteilt. Auf
entsprechende Beschwerden beim Erziehungsministerium entschied
die Behörde, dass alle Kinder am obligatorischen
Religionsunterricht teilzunehmen hätten (vgl. Gutachten A.
Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 20 f.). Die jungen yezidischen Männer
werden während des 18monatigen Militärdienstes "unvorstellbaren
Herabwürdigungen" ausgesetzt (J. Düchting, Auszug aus seiner
Abhandlung "Stirbt der Engel Pfau?" Geschichte, Religion und
Zukunft der Yezide-Kurden, Edition Komkar, Köln 1992). Wer die
türkische Sprache nicht beherrscht, dem wird Lesen und Schreiben
in türkischer Sprache mit Prügeln eingehämmert, da die
Nichtbeherrschung der türkischen Sprache oft von den Offizieren
und Unteroffizieren - indoktriniert durch den türkischen
Nationalismus - als eigentliche Straftat angesehen wird. Nebst
des Einsatzes zu als niedrig angesehenen Tätigkeiten und weiterer
Schikanen kommen Zwangsbekehrungen und Totschlag sowie
Zwangsbeschneidungen im Militärdienst vor (Gutachten A.
Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 17). Junge yezidische Frauen sind der
Gefahr der Entführung und Zwangsheirat ausgesetzt; diese
Entführungen sind teils als regelrechte Strafmassnahmen gegen die
Yeziden gedacht. Es kommen Benachteiligungen durch muslimische
Nachbarn hinzu, welche bis zu körperlichen Misshandlungen gehen
können. Sodann bestehen erhebliche wirtschaftliche
Diskriminierungen. Die Erträge für die Yeziden im Handel kommen
weit unter dem eigentlichen Wert der Ware zu stehen, was die
ohnehin schlechte wirtschaftliche Lage noch verschärft. Es wird
in den Heimatregionen der Yeziden eine eigentliche
Vertreibungspolitik durch kurdische (muslimische)
Grossgrundbesitzer (sog. "Aga's") und ihre Clans betrieben, die
ein grosses Interesse am Land der Yeziden haben. Durch das grosse
Staudammprojekt (GAP) im Raum Viransehir - aus dem auch die
Beschwerdeführer stammen - wird das Land der Yeziden für die
Grossgrundbesitzer noch wertvoller; mithin bewirkt dieses Projekt
jedenfalls für die Yeziden keine wirtschaftliche Förderung. Diese
geraten vielmehr unter noch grösseren Druck der "Aga's", da der
Wert der Ländereien steigt und ein möglicher Reichtum von Yeziden
kaum hingenommen wird.
e) Diese Diskriminierungen verschärfen sich zusätzlich durch
weitere, auf die Yeziden zutreffende, Besonderheiten:
Durch die anhaltende Verdrängungspolitik leben mittlerweile nur
noch wenige Yeziden in der Türkei, weshalb es ihnen nicht mehr
möglich ist, sich hinter einen eigenen Stamm zurückzuziehen und
Schutz bei befreundeten Grossfamilien - vor deren Abwanderung
waren dies oft Christen - und Clans zu suchen. Zudem verfügen sie
durch die ständige wirtschaftliche Diskriminierung auch nicht
über die finanziellen Mittel, eine Lobby für sich zu kaufen. Eine
weitere Besonderheit ist die archaische Gesellschaftsstruktur in
der Türkei, in der die Yeziden - von den Grossverbänden her
betrachtet - die unterste Stufe einnehmen. Demgegenüber sind die
muslimischen Grossverbände (türkischer und kurdischer Ethnie,
wobei namentlich der Grossverband der muslimischen Türken im
Besitz der obersten Macht ist) die Träger einer Macht, die durch
den Islam legitimiert ist. Grundprinzip des Islam ist die
Ungleichheit der Menschen, wobei die Muslims die wertvollste
Gruppe sind. Die Angehörigen anderer Buchreligionen (Juden,
Christen usw.) werden gerade noch geduldet, während den
Angehörigen der Religionen ausserhalb der Muslims und der
Gemeinschaften der Buchreligionen vor Gott und den Muslimen kein
Recht auf Existenz zukommt. Da der Yezide nebst dem Schöpfer
(Gott) den Engel Pfau verehrt, durchbricht er zudem die
Einzigkeit Gottes, weshalb der Yezide der moralisch Verkommenste
ist. Diese Einstellung der Muslims gegenüber den Yeziden ist
mithin geprägt durch diese verinnerlichte religiös geprägte
archaische Gesellschaft, womit so gut wie keine Hemmschwelle
besteht, die den Muslim an seinem Umgang mit Yeziden hindern
könnte. Es entsteht eine dauernde, latente Spannung, die aus den
nichtigsten Gründen zur Explosion führen kann, das heisst es
kommt in diesen schlimmsten Fällen zu Frauenraub, Diebstahl,
Totschlag und Mord. Das Fehlen dieser Hemmschwelle kommt auch im
obengenannten Verhalten der Aga's gegenüber den Yeziden zum
Ausdruck (aus einem Referat von Prof.Dr.Dr. G. Wiessner, Yezidi
in ihrer türkischen Heimatregion, Archaische Strukturen der
Gesellschaft Ostanatoliens).
5.- Es stellt sich im
Zusammenhang mit den obigen Ausführungen die Frage nach der Rolle
des türkischen Staates. Dieser hat vor allem nach 1980 in vielen
yezidischen Dörfern Moscheen errichten lassen - mit dem Ziel der
Verdrängung. Mit der Aufhebung des Kriegsrechts am 19. Juli 1987
und dem dabei eingeleiteten Prozess einer "Redemokratisierung"
hat sich die Situation für die Yeziden noch verschlechtert: Denn
im Rahmen dieses Redemokratisierungsprozesses wurde über - damals
- acht Provinzen im Südosten der Türkei der Ausnahmezustand
verhängt. Es wurde das Amt eines Sondergouverneurs mit
weitreichenden Sondervollmachten eingeführt. Dieser
Sondergouverneur handelte mit staatstreuen kurdischen
Stammeschefs und Grossgrundbesitzern Verträge aus, in denen jenen
Straffreiheit für Straftaten zugesichert wurde, die sie als
Dorfschützer begehen würden. Dadurch wurden jene Taten
legalisiert, welche diese Aga's und ihre Clans in "Ausübung ihrer
hoheitlichen Funktionen als Dorfschützer" begingen (vgl. statt
vieler Gutachten A. Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 74 f.). Aufgrund
dieser Sachlage können indessen die Aga's und ihre Clans durchaus
als halbstaatliche Organe bezeichnet werden, die mit der
Billigung und gar Auftrags des Staates agieren. Andererseits sind
beispielsweise seit 1991 - abgesehen vom obengenannten
Staudammprojekt - keine Investitionen mehr in der Heimatregion
der Yeziden getätigt worden. Gesetze werden mitunter willkürlich,
rassistisch angewendet. Die zu erduldenden Schikanen während des
Militärdienstes sind dem Staat ebenfalls direkt anzulasten (vgl.
auch nicht publ. Urteil der ARK vom 23. März 1994 i. S. D. A.,
Erw. 8d). Der türkische Staat wäre grundsätzlich in der Lage, die
Yeziden zu schützen (aus: Niederschrift über die Fortsetzung
einer mündlichen Verhandlung des 11. Senats des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Mai 1991, Aussagen des als
Sachverständigen Geladenen, Prof.Dr.Dr. G. Wiessner, S. 12),
unterlässt dies jedoch ebenso wie er davon absieht, die in der
türkischen Gesellschaft vermehrt auftretenden
Re-Islamisierungstendenzen zu unterbinden. Dass bezüglich der
verschiedenen, belegten Schikanen im Militärdienst (vgl. oben
Ziff. 4 Bst. d) geeignete Massnahmen seitens des Staates
ergriffen würden, um Uebergriffe auf yezidische Soldaten durch
muslimische Soldaten oder ranghöhere Vorgesetzte zu verhindern
beziehungsweise erfolgte Uebergriffe zu ahnden, lässt sich nicht
erkennen. Ebenso werden die Grossgrundbesitzer und ihre Clans vom
Staat in ihren auf Vertreibung der Yeziden hinzielenden
Uebergriffen nicht gehindert, sondern noch geschützt und aktiv
unterstützt, indem beispielsweise der Staat mit diesen
Grossgrundbesitzern bei der Flucht der Yeziden zusammenarbeitet
(ausführlich dazu Gutachten A. Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 87
ff.). Die moralische Rechtfertigung für diese Haltung des
türkischen Staates wird dabei im Islam begründet, der die
Verdrängung der Un-gläubigen zum Ziel hat (aus: Niederschrift...
vom 2. Mai 1991, a.a.O., S. 12 f.). Dieses teils passive
Gewährenlassen und Billigen, teils aktive Unterstützen der von
muslimischer (kurdischer und türkischer) Seite erfolgenden
Uebergriffe auf die Yeziden ist dem Staat daher insgesamt als
mittelbare Verfolgung anzulasten.
6. a) Es ist im Zusammenhang mit den bisherigen Erwägungen zu
prüfen, ob die oben-genannten direkten und mittelbaren
staatlichen Massnahmen in ihrer Art und Weise geeignet
beziehungsweise genügend sind, um für die Glaubensgemeinschaft
der Yeziden von einer Kollektivverfolgung zu sprechen.
Das Asylgesetz unterscheidet nicht, ob sich eine Gefährdung auf
ein Individuum oder auf ein Kollektiv bezieht. Indessen sind die
in Artikel 3 AsylG (abschliessend) aufgezählten
flüchtlingsrelevanten Verfolgungsmotive wie Rasse, Religion,
Nationalität, soziale Gruppe teils schon von ihrer Definition her
mit dem Begriff "Kollektiv" verbunden (vgl. S. Werenfels, Der
Begriff des Flüchtlings im schweizerischen Asyl-recht, Bern u.a.,
1987, S. 209).
Die Schweizerische Asylpraxis behandelt die Frage der
Kollektivverfolgung über die Grundsätze der begründeten Furcht,
welcher eine Doppelnatur in dem Sinn zukommt, dass einerseits
individuelle Massnahmen gefordert werden, andererseits aber auch
Massnahmen für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft
genügen, die sich gegen (andere) Personen richten, die in
derselben Lage wie der Betroffene sind.
Indessen genügt dabei gemäss Lehre und Praxis allein die
Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, welches in seinen spezifischen
Eigenschaften Ziel einer Verfolgungsmotivation ist, in der Regel
nicht, um die Flüchtlingseigenschaft zu begründen (vgl. S.
Werenfels, a.a.O., S. 211 und dort Fussnote 90 mit Hinweis auf
das UNHCR-Handbuch). Demzufolge müssen auch bei der Frage der
Kollektivverfolgung besondere Umstände hinzukommen, damit bereits
aufgrund der blossen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv
die Ernsthaftigkeit der Nachteile oder Begründetheit der Furcht
gemäss Artikel 3 AsylG als erfüllt beurteilt werden können, wobei
natürlich vorausgesetzt wird, dass die Verfolgung aus den
flüchtlingsrelevanten Motiven der Rasse, der Religion, der
Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe erfolgt. Dieses Erfordernis hinsichtlich weiterer,
besonderer Umstände findet seine Rechtfertigung darin, dass die
Feststellung, ob sich eine Verfolgung auf ein Kollektiv bezieht,
unter Umständen schwierig sein kann.
Als erstes, unbestrittenes Erfordernis wird der Betroffene seine
Zugehörigkeit zum entsprechenden Kollektiv nachweisen müssen.
Sodann ist analog der Prüfung einer geltend gemachten
Individualverfolgung zu prüfen, ob die gegen das Kollektiv
erfolgte Massnahme in ihrer Art und Weise gezielt nur auf dieses
Kollektiv gerichtet ist, mithin über das hinausgeht, was andere
Kollektive an Nachteilen und Uebergriffen hinzunehmen haben. Die
als gezielt gegen ein Kollektiv gerichtet beurteilten Massnahmen
müssen sodann eine gewisse Intensität aufweisen, um dem
Anfordernis der ernsthaften Nachteile im Sinn von Artikel 3
Absatz 1 AsylG zu genügen. Analog der Prüfung der Intensität
einer individuell geltend gemachten Massnahme wird die genügende
Intensität mit Bezug auf gegen das Kollektiv gerichtete
Massnahmen zu bejahen sein, wenn es sich um Eingriffe handelt,
die das Leben gefährden, die körperliche Integrität verletzen
sowie - im Fall von Freiheitsbeschränkungen - von einer gewissen
Dauer sind oder zumindest in ihrer Gesamtheit mit einer gewissen
Häufigkeit vorkommen. Aus der Verfolgung einzelner, zum Kollektiv
gehöriger Personen, kann dabei nicht ohne weiteres auf die
Verfolgung des Kollektivs geschlossen werden (vgl. S. Werenfels,
a.a.O., S. 210). Die gezielten, häufigen und andauernden
Massnahmen müssen sich grundsätzlich gegen alle Mitglieder des
Kollektivs richten, so dass der Einzelne aus der erheblichen
Wahrscheinlichkeit heraus, selbst verfolgt zu werden, begründete
Furcht hat.
b) Von den oben (Ziff. 5) dargelegten direkten und mittelbaren
staatlichen Massnahmen gegen die Yeziden ist die übrige
Zivilbevölkerung der Türkei nicht gleichermassen betroffen. Diese
Verfolgungsmassnahmen gehen in ihrer Form vielmehr weit über das
hinaus, was heute andere religiöse oder ethnische Gruppen der
Türkei an Benachteiligungen und Schikanen hinzunehmen haben;
mithin sind diese Uebergriffe und zahlreichen Diskriminierungen
als gezielt gegen die Glaubensgemeinschaft der Yeziden gerichtet
zu bezeichnen. Diese Massnahmen erreichen zudem in ihrer
Gesamtheit - ständige Eingriffe in die körperliche Integrität
sowie willkürliche, immer wiederkehrende Beschränkungen der
Freiheit - auch die im Sinne von Artikel 3 AsylG vorausgesetzte
Intensität; mithin wird durch diese Verfolgungsmassnahmen das
Leben der Yeziden im Herkunftsstaat wenn nicht gar verunmöglicht,
so doch in unzumutbarer Weise erschwert. Durch diese gezielten
Massnahmen wie zwangsweiser Schulunterricht des Islam, Entführung
von Frauen und Kindern zu Zwangsislamisierung und -heirat,
bewusster Missachtung der Tabus der Yeziden durch die türkischen
Behörden (Gutachten A. Sternberg-Spohr, a.a.O., S. 16) usw.,
werden zudem die Yeziden entgegen der Auffassung der Vorinstanz
im Kernbereich ihrer religiösen Persönlichkeit getroffen und
ihrer religiösen Identität beraubt. Diese Eingriffe sind
geeignet, die Yeziden mitunter in schwere Gewissensnöte zu
stürzen, insbesondere wenn es zu Kindesentführungen - um diese in
einem anderen Glauben zu erziehen - oder zu
Zwangsheiraten, um so die
religiöse Minderheit zu schwächen, kommt (vgl. W. Kälin,
Grundriss des Asylverfahrens, Basel und Frankfurt a.M., S. 56).
Diese Massnahmen sind in ihrer Gesamtheit daher auch geeignet,
bei der Gemeinschaft der Yeziden einen unerträglichen psychischen
Druck zu bewirken. Bei dieser Sachlage ist unerheblich, ob der
einzelne Yezide über diese, die ganze Glaubensgemeinschaft
betreffenden, Verfolgungsmassnahmen hinausgehende Massnahmen
erlitten hat oder solche mit guten Gründen befürchtet; es genügt
mit Bezug auf die Yeziden für die Bejahung der Gezieltheit und
der Intensität der Massnahme und damit für die Bejahung einer
Verfolgung, dass der Betroffene Mitglied dieser Minderheit ist
und jederzeit mit dieser Verfolgung zu rechnen hat (vgl. W. Kälin,
a.a.O., S. 85).
7. a) Nach dem Gesagten ist hinsichtlich der Glaubensgemeinschaft
der Yeziden von einer gezielten Gruppen- oder Kollektivverfolgung
auszugehen; mithin ist allein die Zugehörigkeit zu dieser
Zielgruppe als Indiz dafür zu werten, dass bei jedem einzelnen
Angehörigen begründete Furcht vor Verfolgung vorliegt. Die
Anforderungen an die begründete Furcht in einer solchen
staatlichen, gezielt und intensiv gegen eine bestimmte Zielgruppe
gerichteten Verfolgung sind dadurch herabgesetzt (vgl. A.
Achermann/Ch. Hausammann, Handbuch des Asylrechts, 2. Auflage,
Bern und Stuttgart, S. 92). So lässt es die begründete Furcht für
eine Asylgewährung auch genügen, wenn Personen verfolgt wurden,
die sich in der gleichen Lage wie der einzelne Betroffene
befanden; mithin ist nicht nur das individuelle Schicksal zu
berücksichtigen, sondern insbesondere sind die objektiven
Umstände und das Umfeld gleichermassen miteinzubeziehen. Es kann
daher aufgrund der Verfolgung eines Kollektivs - wie vorliegend
der Yeziden - durchaus der Schluss gezogen werden, dass der
einzelne Angehörige dieser Gruppe mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit bereits gefährdet ist, bevor beziehungsweise
ohne dass er bereits konkreten Massnahmen ausgesetzt war oder
ist. Vom einzelnen Betroffenen, sich auf die Verfolgung des
Kollektiv Berufenden, ist zu erwarten, dass er seine
Zugehörigkeit zu diesem Kollektiv sowie - wobei den individuellen
Möglichkeiten des Einzelnen Rechnung zu tragen ist - die Zustände
und Verfolgungsmassnahmen zumindest glaubhaft machen kann. Je
mehr es sich bei den Zuständen im Verfolgerstaat um allgemeine
und öffentlich bekannte Begebenheiten handelt - wie dies
vorliegend der Fall ist -, um so weniger muss der Betroffene den
Nachweis dafür erbringen (vgl. S. Werenfels, a.a.O., S. 139 und
209 f., W. Kälin, a.a.O., S. 78).
b) Vorliegend haben die Beschwerdeführer glaubhaft dargetan, der
Glaubensgemeinschaft der Yeziden anzugehören. Wie oben dargelegt,
ist diese Gemeinschaft einer gezielt gegen sie gerichteten, in
ihrer Art und Weise den Anforderungen an die Intensität
genügenden Verfolgung ausgesetzt, welche für die Yeziden auch
einen unerträglichen psychischen Druck bewirkt. Als Angehörige
der Yeziden haben die Beschwerdeführer demnach ungeachtet der
Frage, ob sie bereits solche Massnahmen erlitten haben (was
vorliegend ohnehin zu bejahen wäre, ...), besonderen Anlass, eine
solche Verfolgung mit guten Gründen zu befürchten. Aufgrund
dieser Feststellung erfüllen die Beschwerdeführer demnach die
Flüchtlingseigenschaft bereits aufgrund der Tatsache, dass sie
der Glaubensgemeinschaft der Yeziden angehören (W. Kälin, a.a.O.,
S. 78, S. 85).
c) Asylausschlussgründe im Sinn von Artikel 8 AsylG sind aufgrund
der Akten vorliegend keine gegeben. In Gutheissung des
Hauptbegehrens der Beschwerdeführer ist die angefochtene
Verfügung daher aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, den
Beschwerdeführern Asyl zu gewähren.
Türkei
OVG NRW: Mittelbare
Gruppenverfolgung für praktizierende Jeziden
U.v. 22.1.2001 - 8 A 4 124/99.A -; 28 S., M0191
"In Anwendung dieser Maßstäbe und unter Auswertung des zur
Verfügung stehenden Erkenntnismaterials geht der Senat davon aus,
dass ihren Glauben praktizierende Yeziden jedenfalls in ihren
angestammten Siedlungsgebieten in der Türkei einer mittelbar
staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit
ausgesetzt sind, ohne dass ihnen ein Ausweichen in
verfolgungsfreie Gebiete innerhalb der Türkei möglich wäre; dabei
kann offen bleiben, ob die den glaubensgebundenen Yeziden in der
Türkei drohende Gruppenverfolgung noch als regionale oder - im
Hinblick darauf, dass sie nicht vom türkischen Staat, sondern von
der muslimischen Bevölkerungsmehrheit ausgeht - schon als
landesweite Gruppenverfolgung einzustufen ist, weil die
Erkenntnisgrundlage zu schmal ist, diese Frage zuverlässig zu
beantworten. Das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative
lässt sich sowohl für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
als auch für jenen früheren Zeitpunkt - unabhängig von seiner
genauen Datierung - feststellen, zu dem das Vorliegen einer
Situation der Gruppenverfolgung erstmalig angenommen werden kann.
Diese Einschätzung beruht auf der Annahme, dass Yeziden mit
erkennbarer religiöser Bindung in der Südosttürkei wegen ihrer
Religionszugehörigkeit in einem Klima allgemeiner religiöser und
gesellschaftlicher Verachtung leben und einer Vielzahl von
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind, die in Relation zu der
Anzahl der noch in ihren Siedlungsgebieten verbliebenen Yeziden
für jedes Mitglied dieser Bevölkerungsgruppe die Gefahr
begründen, jederzeit zum Ziel und Opfer von religiös motivierten
Rechtsverletzungen werden zu können, ohne dass der türkische
Staat bereit wäre, die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel
zum Schutz der Yeziden einzusetzen. Eine vergleichbare Lage
finden praktizierende Yeziden auch in den anderen Gebieten der
Türkei - insbesondere in den westlichen Großstädten - vor, so
dass auch dort die Gefahr asylrelevanter Übergriffe besteht.
(...) Von der Gefahr politischer Verfolgung sind nur
glaubensgebundene (praktizierende) Yeziden betroffen.
Deshalb bedarf es in jedem Einzelfall der positiven Feststellung,
dass der Asylbewerber Yezide ist und seinen Glauben praktiziert.
Für die Klägerin können diese Feststellungen getroffen werden.
Yezide ist nach den für den Senat maßgeblichen Regeln des
yezidischen Glaubens nur, wer diese Religionszugehörigkeit durch
Abstammung von yezidischen Eltern erworben und nicht durch
unwiderrufliche Abwendung von diesem Glauben verloren hat. Ein
wichtiges Indiz für die Abstammung von yezidischer Eltern ist die
Herkunft der Familie aus einem yezidisch besiedelten Ort, weil
die Yezideh in rein yezidischen Siedlungen lebten, um ihre
Religionspraxis Andersgläubigen nicht offenbaren zu müssen und
weil die yezidische Religion in hohem Maße auf ein Zusammenleben
in engen gesellschaftlichen Verbänden angewiesen ist.
(Zu Einzelheiten und Nachweisen
vgl. Senatsurteil vom 24. November 2000 - 8 A 4/99.A -, Ziff.
1.3.1., S. 24ff. UA)
Von politischer Verfolgung in der Türkei bedroht sind (gebürtige)
Yeziden allerdings nur dann, wenn sie ihren Glauben praktizieren.
Die Feststellung einer Glaubenspraxis stößt jedoch auf die
Schwierigkeit, dass der yezidische Glaube zwar einerseits durch
Orthopraxie und die Befolgung äußerlicher Verhaltensweisen
geprägt wird, dass aber andererseits aufgrund der nur mündlichen
Überlieferung der Glaubensinhalte und der starken geographischen
und hierarchischen Zersplitterung der yezidischen
Glaubensgemeinschaft feststeht, dass es keinen einheitlichen
Kanon von Glaubenssätzen und Verhaltensweisen gibt, der für alle
Yeziden gleichermaßen verbindlich und damit ein sicheres
Anzeichen für das Vorliegen einer religiösen Praxis wäre. Vor
diesem Hintergrund verbietet sich die Annahme, glaubensgebundener
(praktizierender) Yezide könne nur sein, wer über ein für alle
Yeziden unterschiedslos und gleichermaßen gültiges Mindestwissen
zu gleichsam katalogartig abfragbaren Glaubensinhalten in
nennenswertem Umfang verfüge.
(Vgl. hierzu und zum Folgenden im
einzelnen Senatsurteil vom 24. November 2000 - 8 A 4/99.A -, Ziff.
1.3.2., S. 29 bis 36)
Allen glaubensgebundenen Yeziden gemeinsam ist nach den dem Senat
vorliegenden Erkenntnissen lediglich das Wissen um Melek Taus -
allerdings nicht notwendig unter dieser Bezeichnung - als für den
yezidischen Glauben zentrales höheres Wesen sowie das
Bewusstsein, in einer hierarchisch strukturierten und von engen
persönlichen und funktionalen Verflechtungen zwischen Geistlichen
verschiedener Kasten und Laien geprägten Gesellschaft einen
unverrückbaren Platz innezuhaben. Demgegenüber weisen Regeln und
Bräuche im Hinblick auf Glaubensinhalte, auf das religiöse
Alltagsleben und auf religiöse Feste eine außergewöhnliche, die
Terminologie ebenso wie grundsätzliche inhaltliche Fragen
erfassende Variationsbreite auf. Ob ein Asylbewerber den Nachweis
seiner Glaubensgebun- denheit als praktizierender Yezide erbracht
hat oder nicht, hängt deshalb nicht davon ab, ob er einzelne, mit
den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen über die yezidische
Religion nicht oder nicht vollständig übereinstimmende Angaben zu
konkreten Glaubenssätzen oder Verhaltensweisen gemacht hat,
sofern er erkennen lässt, dass er über seine Einordnung in die
yezidische Gesellschaft und die Verehrung des weltbewahrenden
Engels Melek Taus informiert ist. Es muss vielmehr eine
Gesamtbewertung seines Vertrags und Verhaltens im Verfahren und
in der mündlichen Verhandlung vorgenommen werden; dabei kann auch
die Art und Weise seiner Reaktion auf Fragen nach religiösen
Kenntnissen und nach der religiösen Erziehung von Bedeutung
sein."
Einsender: RA Günter Meyners, Detmold
Anmerkung: Die Entscheidung befaßt sich auch mit dem türkischen
Staatsangehörigkeitsrecht in Bezug auf die Jeziden des
türkisch-syrischen Grenzgebietes sowie der Frage der
anderweitigen Sicherheit in Syrien (verneinend).
Türkei
Nieders.
OVG: Gruppenverfolgung für Yeziden
U.v. 19.1.99 – 11 L 2260/98 -, 17 S.,
R377
"Nach der
ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats seit dem
Grundsatzurteil vom 28. Januar 1993 (11 L 513/89) sind
glaubensgebundene Yeziden in ihren angestammten Siedlungsgebieten
im Südosten der Türkei zumindest seit 1988/1989 einer mittelbaren
staatlichen Gruppenverfolgung durch die moslemische
Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt, der sie sich auch nicht durch
ein Ausweichen in andere Landesteile entziehen können. Aus den
neueren in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ergeben
sich keine Hinweise darauf, daß sich die Situation für die
wenigen noch im Südosten der Türkei verbliebenen Yeziden in der
Zwischenzeit verbessert haben könnte. Vielmehr haben sich die
fluchtbegründenden Umstände weiter verschlechtert. Die seit
Jahren festzustellende Abwanderung der Yeziden aus ihren
traditionellen Siedlungsgebieten hält an. Nach Schätzung von
Sternberg-Spohr (Bestandsaufnahme der Restbevölkerung der
Volksgruppe der kurdischen Ezdi in der Süd-Osttürkei,
März/Oktober 1993) lebten 1993 eher unter als über 1.000 Yeziden
noch in ihren angestammten Siedlungsgebieten. Nach den
Feststellungen von Wießner (Auskunft v. 15.07.1996 an Hess. VGH)
sind die ehemals yezidisch besiedelten Dörfer in der Osttürkei
bis auf wenige Restgruppen, in der Regel ältere Leute, deren
Familienangehörige schon in Europa leben, verlassen. Kizilhan
(Die Yeziden, 1997, S.56) spricht davon, daß bis auf ganz wenige
Ausnahmen (einige Hundert) heute alle Yeziden im Exil leben.
Diese Beobachtungen decken sich mit den Ermittlungen des
Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 18. September 1998, wonach
im Südosten der Türkei nur noch wenige, vor allem alte, Yeziden
leben. Während die Yeziden sich früher jedenfalls im Schutze
ausreichend großer, ausschließlich von Glaubensgenossen bewohnter
Dörfer mit intaktem Sozialgefüge, insbesondere normaler
Altersstruktur, gegen Angriffe moslemischer Kurden noch mit
Erfolg zur Wehr setzen konnten, sich also selbst zu schützen
vermochten, können die wenigen verbliebenen älteren Yeziden den
Übergriffen der verschiedensten Art durch die moslemischen
Nachbarn immer weniger standhalten. Diese Einschätzung des Senats
steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer
Oberverwaltungsgerichte (vgl. Hess. VGH, Urteile v. 16.09.1996 –
12 UE 3033/95 u. 12 UE 3641/95; Hamb. OVG, Urt. v. 13.04.1994 –
OVG Bf V 3/88 -; Bay. VGH, Urt.v. 11.10.1993 – 11 B 90.31837;
OVG Bremen, Urt. v. 19.10.1993 – OVG 2 BA 35/91 -; OVG NW, Urt.
v. 27.01.1993 – 25 A 10241/88 -).
Diese Rechtsprechung kommt der
Klägerin auch zugute, weil sie nach Überzeugung des Senats
Angehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft ist und nach den
Geboten ihrer Religion lebt.
Für die
Feststellung der Zugehörigkeit zur ethno-religiösen Gruppe der
Yeziden kommt es maßgeblich auf den Geburts- und/oder Wohnort an
(vgl. etwa Urt. d. Sen. v. 08.07.1994 – 11 L 37/90 -, S.24 d. UA;
Hess. VGH, Urt. v. 16.09.1996 – 12 UE 3033/05 -). Denn die
Yeziden in der Türkei siedelten in der Regel in eigenen Dörfern,
die bekannt sind."
Einsender: RA Waldmann-Stocker, Göttingen
Ähnlich:
VG Lüneburg: Urteil v. 19.1.1999 - 1 A 650/98 -, 5 S., R 211
Bundesverfassungsgericht,
Beschluß vom 23.1.1991 (2 BvR 902/85 und 515, 1827/89), BVerfGE
83, 216 (ZaöRV 53 [1993], 398 f.)
Einleitung:
Die Beschwerdeführer sind
Angehörige der jezidischen Minderheit in der Türkei. Sie machen
geltend, die Jeziden seien wegen ihrer Religion in ihrem
angestammten Siedlungsgebiet im Südosten der Türkei ohne
staatlichen Schutz Übergriffen der muslimischen
Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt.
Entscheidungsauszüge:
C. ... I. Das Grundrecht des
Art.16 Abs.2 Satz 2 GG ist ein Individualgrundrecht. Nur
derjenige kann es in Anspruch nehmen, der selbst - in seiner
Person - politische Verfolgung erlitten hat, weil ihm in
Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt intensive und ihn
aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzende
Rechtsverletzungen zugefügt worden sind, und weil er aus diesem
Grunde gezwungen war, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen
Lage sein Land zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen;
dabei steht der eingetretenen Verfolgung die unmittelbar drohende
Gefahr der Verfolgung gleich ...
1. Bei Prüfung der Frage, ob sich ein Flüchtling in diesem
Sinne in einer ausweglosen Lage befindet, vor der ihm das
Asylrecht Schutz gewähren soll, sind alle Umstände in den Blick
zu nehmen, die objektiv geeignet sind, bei ihm begründete Furcht
vor (drohender) Verfolgung hervorzurufen. Sie kann sich aus gegen
ihn selbst gerichteten Maßnahmen des Verfolgers ergeben, sofern
diese ihn in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal treffen
sollen und die erforderliche Intensität aufweisen. Eigene
politische Verfolgung kann auch dann zu bejahen sein, wenn solche
Maßnahmen den Betroffenen noch nicht ereilt haben, ihn aber -
weil der Verfolger ihn bereits im Blick hat - demnächst zu
ereilen drohen.
Damit hat es jedoch nicht sein Bewenden. Die Gefahr eigener
politischer Verfolgung eines Asylbewerbers kann sich auch aus
gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten
wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit
ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit
und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet und
deshalb seine eigene bisherige Verschonung von ausgrenzenden
Rechtsgutsbeeinträchtigungen als eher zufällig anzusehen ist. In
solcher Lage kann die Gefahr der eigenen politischen Verfolgung
auch aus fremdem Schicksal abgeleitet werden.
In welchem Maße dies der Fall ist, wird je nach den
tatsächlichen Verhältnissen, unter denen sich politische
Verfolgung in den Herkunftsländern ereignet, unterschiedlich zu
beurteilen sein. Allgemein ist jedoch davon auszugehen, daß die
Gefahr eigener politischer Verfolgung wächst, je weniger der
Staat selbst oder Dritte in einer dem Staat zuzurechnenden Weise
bei ihren Verfolgungsmaßnahmen an ein bestimmtes Verhalten der
davon Betroffenen anknüpfen, die Verfolgung also nicht mit einer
von deren Tun ausgehenden realen oder vermeintlichen Gefahr in
Verbindung steht und unabhängig von einem besonderen Anlaß
vorgenommen wird, mit dem sie sich als Träger eines
asylerheblichen Merkmals in Verbindung bringen lassen. Die
historische und zeitgeschichtliche Erfahrung lehrt, daß für den
Einzelnen die Gefahr, selbst verfolgt zu werden, um so größer und
- hinsichtlich ihrer Aktualität - um so unkalkulierbarer ist, je
weniger sie von individuellen Umständen abhängt oder geprägt ist
und je mehr sie unter Absehung hiervon überwiegend oder
ausschließlich an kollektive, dem Einzelnen unverfügbare Merkmale
anknüpft. Sieht der Verfolger von individuellen Momenten gänzlich
ab, weil seine Verfolgung der durch das asylerhebliche Merkmal
gekennzeichneten Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen
Gruppenmitgliedern gilt, so kann eine solche Gruppengerichtetheit
der Verfolgung dazu führen, daß jedes Mitglied der Gruppe im
Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muß.
Unter welchen Voraussetzungen von einer solchen
gruppengerichteten Verfolgung bei unmittelbar staatlicher
Verfolgung auszugehen ist, bedarf aus Anlaß der vorliegenden
Verfassungsbeschwerden keiner verfassungsrechtlichen Klärung. Die
Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden
gruppengerichteten Verfolgung durch Dritte setzt jedenfalls
voraus, daß Gruppenmitglieder Rechtsgutsbeeinträchtigungen
erfahren, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne
Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten kann, selbst
alsbald ein Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Das
wird vor allem bei gruppengerichteten Massenausschreitungen der
Fall sein, die das ganze Land oder große Teile desselben
erfassen, oder etwa auch dann, wenn unbedeutende oder kleine
Minderheiten mit solcher Härte, Ausdauer und Unnachsichtigkeit
verfolgt werden, daß jeder Angehörige dieser Minderheit sich
ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit
ausgesetzt sieht.
Gruppengerichtete Verfolgungen, die von Dritten ausgehen,
brauchen nicht ein ganzes Land gewissermaßen flächendeckend zu
erfassen. Die ihnen zugrundeliegenden ethnischen, religiösen,
kulturellen oder sozialen Gegensätze können in einzelnen
Landesteilen unterschiedlich ausgeprägt sein; die darin
wurzelnden Spannungen können sich in unterschiedlichem Grade auf
das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsteile auswirken. Oft
ist insoweit ein innerhalb des Landes bestehendes Entwicklungs-
oder Zivilisationsgefälle von Bedeutung. Deshalb ist - jedenfalls
bei gruppengerichteten Verfolgungen durch nicht-staatliche Kräfte
- von der Möglichkeit auszugehen, daß solche Verfolgungen
regional oder lokal begrenzt sind mit der Folge, daß sich die
verfolgungsfreien Räume als inländische Fluchtalternative ...
darstellen können und daß die dort ansässigen Gruppenangehörigen
als unverfolgt zu gelten haben. Allerdings bedarf dabei näherer
Ermittlung, ob eine bestehende Schutzunwilligkeit des Staates die
Gefahr einer Ausweitung der Verfolgung in bisher verfolgungsfreie
Räume begründet.
2. Hieraus ergibt sich, daß die unmittelbare Betroffenheit
des Einzelnen durch gerade auf ihn zielende Verfolgungsmaßnahmen
ebenso wie die Gruppengerichtetheit der Verfolgung nur Eckpunkte
eines durch fließende Übergänge gekennzeichneten
Erscheinungsbildes politischer Verfolgung darstellen. Die
Anknüpfung an die Gruppenzugehörigkeit bei Verfolgungshandlungen
ist nicht immer eindeutig erkennbar. Oft tritt sie nur als ein
mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die
Verfolgungsbetroffenheit mitprägender Umstand hervor, der - je
nach Lage der Dinge - für sich allein noch nicht die Annahme
politischer Verfolgung jedes einzelnen Gruppenmitglieds, wohl
aber bestimmter Gruppenmitglieder rechtfertigt, die sich in
vergleichbarer Lage befinden. Auch solchen Fällen im
Übergangsbereich zwischen anlaßgeprägter Einzelverfolgung und
gruppengerichteter Kollektivverfolgung muß Rechnung getragen
werden, um das Phänomen politischer Verfolgung sachgerecht zu
erfassen; tatsächlich bestehende asylerhebliche Gefährdungslagen
dürfen nicht in einer den Gewährleistungsinhalt des Grundrechts
verkürzenden Weise unberücksichtigt bleiben.
Daraus folgt, daß die gegenwärtige Gefahr politischer
Verfolgung für einen Gruppenangehörigen aus dem Schicksal anderer
Gruppenmitglieder möglicherweise auch dann herzuleiten ist, wenn
diese Referenzfälle es nicht rechtfertigen, vom Typus einer
gruppengerichteten Verfolgung auszugehen. Hier wie da ist es von
Belang, ob vergleichbares Verfolgungsgeschehen sich in der
Vergangenheit schon häufiger ereignet hat, ob die
Gruppenangehörigen als Minderheit in einem Klima allgemeiner
moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben
müssen, das Verfolgungshandlungen wenn nicht gar in den Augen der
Verfolger rechtfertigt, so doch tatsächlich begünstigt, und ob
sie ganz allgemein Unterdrückungen und Nachstellungen ausgesetzt
sind, mögen diese als solche auch noch nicht von einer Schwere
sein, die die Annahme politischer Verfolgung begründet. Bezogen
auf die fachgerichtlich entwickelten Unterscheidungen liegt es
nahe, den vom Bundesverwaltungsgericht in Abgrenzung zur
Gruppenverfolgung geprägten Begriff der Einzelverfolgung wegen
Gruppenzugehörigkeit (BVerwGE 70, 232 [233 f.]; 74, 31 [34]) in
diesem Sinne zu verstehen und ihn damit in einer Weise
heuristisch zu verwenden, die der vielgestaltigen Realität
politischer Verfolgung Rechnung trägt.
3. Die begriffliche Aufbereitung der Erscheinungsformen
politischer Verfolgung ... ist Aufgabe der Fachgerichte. ...
Dabei steht den Fachgerichten ein gewisser "Wertungsrahmen" zu (BVerfGE
76, 143 [162]). ...
4. Verfolgungen durch Dritte - seien sie nun
gruppengerichtet oder in dem erwähnten heuristischen Sinne als
Einzelverfolgungen wegen Gruppenzugehörigkeit anzusehen - sind
dem jeweiligen Staat zuzurechnen, wenn er nicht mit den ihm an
sich zur Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt ... Die
Intensität dieses Schutzes muß dem Grad der Bedrängnis
entsprechen, in der die Gruppe sich befindet. Die Fachgerichte
haben daher staatliche Schutzvorkehrungen daraufhin zu
überprüfen, ob es sich um Reaktionen handelt, die der Schwere der
Übergriffe entsprechen; in diesem Zusammenhang ist auch zu
berücksichtigen, ob und in welchem Ausmaß die betroffene Gruppe
schon in der Vergangenheit politischer Verfolgung ausgesetzt war.
Staatliche Schutzbereitschaft kann nicht schon deshalb
bejaht werden, weil die zum Handeln verpflichteten Organe
erklären, ihren diesbezüglichen Pflichten genügen zu wollen.
Gerade der die Ausschreitungen Dritter innerlich billigende Staat
wird sich oft - schon aus außenpolitischen Gründen - von diesen
distanzieren und sie - etwa unter dem Hinweis auf bestehende
Rechtsvorschriften - nach außen hin mißbilligen.
Schutzbereitschaft läßt sich also nicht schon mit dem bloßen
Hinweis auf bestehendes Verfassungs- oder Gesetzesrecht des
Heimatstaates als gegeben unterstellen; erforderlich ist
vielmehr, daß sie - nicht anders als an den Orten einer
angenommenen Fluchtalternative ... - konkret belegbar ist. Auf
eine staatliche Schutzunwilligkeit kann es hindeuten, wenn der
Staat landesweit oder in der betreffenden Region zum Schutz
anderer Gruppen oder zur Wahrung seiner eigenen Interessen mit
deutlich effektiveren Mitteln und im Ergebnis deutlich
erfolgreicher einschreitet. Freilich ist auch hier mit zu
bedenken, daß es keiner staatlichen Ordnungsmacht möglich ist,
einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren
...
Rechtsprechung
StAZ Nr.5/1991
21 PStG
1. Die im Geburtenbuch mit
Einverständnis einzutragende rechtliche Zugehörigkeit der Eltern
zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft setzt voraus, daß die Kirche pp. eine
rechtliche Organisation besitzt. Dies trifft gegenwärtig für die
religiöse Gemeinschaft der Yeziden (Jesiden) nicht zu.
2. Zur "Löschung" unrichtiger
Eintragungen in Personenstandsbüchern.
OLG Hamm
Beschluß vom 22. November 1990 ‑ 15 W 398/89
Gründe:
1. Die Beteiligten zu 1) sind
türkische Staatsangehörige und leben seit längerer Zeit in der
Bundesrepublik Deutschland. Im Geburtenbuch des Standesamts sind
drei dort geborene Töchter der Beteiligten zu 1) eingetragen, und
zwar 1981, 1982 und 1985. In den Geburtenbucheintragungen ist als
Religionszugehörigkeit der Mutter und des Vaters jewils
„islamitisch“ angegeben.
Bei allen drei Geburtseinträgen
hat der Standesbeamte jeweils unter dem 11.7. 1988 folgenden
Randvermerk eingetragen: „Die Religionszugehörigkeit der Eltern
des Kindes ist jesidisch (begl. Abschrift der Bescheinigung des
Geistlichen Oberhauptes der jesidischen Religion in Europa).“
Unter Hinweis auf eine von ihm
eingeholte Stellungnahme des Fachausschusses des Bundesverbandes
der deutschen Standesbeamten e.V. in Bad Salzschlirf vom 29. 10.
1988 und eine Stellungnahme der Georg‑August‑Universität in
Göttingen ‑ Vereinigte Theologische Seminare, Abteilung für
Allgemeine Religionsgeschichte ‑ vom 22.2 1982, die von der 4.
Kammer des VG Stade in einem Asylverfahren im Hinblick auf die
Jezidi‑Religion eingeholt worden ist, hat der Beteiligte zu 2)
als Standesamtsaufsichtsbehörde mit Schreiben vom 6. 12. 1988
beim Amtsgericht gemäß §47 Abs. 2 PStG beantragt, eine
Berichtigung der eingangs bezeichneten drei
Geburtenbucheintragungen dahingehend anzuordnen, daß „der
Randvermerk vom 11. 7. 1988 gelöscht wird“.
Er hat zur
Begründung geltend gemacht: Die Eintragung der Randvermerke sei
unzulässig gewesen. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG dürfe in das
Geburtenbuch nur die rechtliche Zugehörigkeit der Eltern
zu einer Kirche. Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft eingetragen werden. Dies setze
voraus, daß die Kirche, Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft selbst einen rechtlichen Bestand
habe. Daran fehle es hier. Die Religionsgemeinschaft der Jeziden
habe weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in der Türkei
einen rechtlichen Bestand.
...
Das
Amtsgericht hat sodann durch drei Beschlüsse vom 13.2. 1 989
entschieden, die jeweilige Eintragung im Geburtenbuch sei durch
Beschreibung folgenden Vermerks zu berichtigen:
„Auf Anordnung des Amtsgerichts D. wird berichtigend vermerkt,
daß der Randvermerk vom 11. 7. 1988 gelöscht wird.“
...
Auf die
sofortige Beschwerde der Kindeseltern hat das Landgericht
beschlossen: „Die angefochtenen Beschlüsse werden aufgehoben.“
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 2) mit
seiner sofortigen weiterer, Beschwerde. Er vertritt weiterhin den
Standpunkt, die Eintragung der Randvermerke vom 11. 7. 1988 sei
unzulässig gewesen und müsse daher „gelöscht“ werden.
II.
Das
Rechtsmittel des Beteiligten zu 2) ist zulässig und auch
sachlichbegründet.
1....
2. Gegen
die Entscheidung des Landgerichts war nach § , .. 49 PStG in
Verb. mit '",§ 27, 29, 22 FGG die sofortige weitere
Beschwerde gegeben. Die Befristung dieses Rechtsmittels folgt
daraus, daß gegen die Entscheidung des Amtsgerichts durch die der
Standesbeamte zur Vornahme einer Amtshandlung angehalten wurde,
nach § 49 Abs. 1 Satz 1 PStG ‑ die sofortige Beschwerde gegeben
war und dies nach § 29 Abs. 2 FGG zur Folge hat, daß auch die
Entscheidung des Beschwerdegerichts ‑ unabhängig von ihrem
sachlichen Inhalt – der sofortigen weiteren Beschwerde
unterworfen ist. Die Wahrung der Rechtsmittelfrist durch die
weitere Beschwerde ergibt sich daraus, daß eine förmliche
Zustellung der Beschwerdeentscheidung an den Beteiligten zu 2)
nicht statt‑ gefunden hat.
3. Das
Rechtsmittel der Standesamtsaufsichtsbehörde hat auch in der
Sache Erfolg, weil die angefochtene Beschwerdeentscheidung auf
einer Verletzung des Gesetzes beruht 27 FGG. Die Randvermerke vom
11.7.1988 in den eingangs bezeichneten drei Geburtseintragungen
können – entgegen der Ansicht des Landgerichts – nicht als
zulässig angesehen werden und müssen daher in Wegfall kommen
(„gelöscht“ werden).
a) ...
b) In
materiellrechtlicher Hinsicht ist die hier von der
Standesamtsaufsicht beantragte Berichtigung der drei
Randvermerke vom 11. 7. 1988 gerechtfertigt, wenn diese Vermerk
von Anfang an unrichtig waren. Als „Berichtigung“ im Sinne der
gesetzlichen Regelung (§§ 46 a bis 47 PStG) ist nämlich die
nachträgliche Änderung des Wortlauts eines durch Unterschrift des
Standesbeamten abgeschlossenen Eintrags in ein Personenstandsbuch
durch Richtigstellung einer von Anfang an bestehenden
Unrichtigkeit anzusehen (Kuntze, Verfahrensmäßige Behandlung von
standesamtlichen Berichtigungsverfahren durch die Gerichte, StAZ
19781 229ff, 230 BayObLG. StAZ 1982, 211, 212 mit weit. Nachw.).
Unrichtig
im Sinne des Gesetzes ist eine Eintragung aber nicht nur
dann, wenn ihr Inhalt nicht den Tatsachen ein. spricht, sondern
auch, wenn sie sachlich unzulässig ist; unzulässig sind
also auch Eintragungen, die Angaben enthalten für deren
Eintragung in die Bücher keine rechtliche Grundvorhanden ist
(BGH, StAZ 1981, 320: Kuntze aa.O. 230)
Die
letztgenannte Voraussetzung ist hier gegeben; denn die Eintragung
der Randvermerke entbehrt einer rechtliche‑. Grundlage.
Einzutragen
ist in das Geburtenbuch nach § 21 Abs. 1 Nr.! PStG unter anderem
die „rechtliche Zugehörigkeit“ oder Nichtzugehörigkeit der
Kindeseltern zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft. Die rechtliche Zugehörigkeit setzt
voraus, daß die Kirche, Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft selbst rechtlichen Bestand
hat, also rechtlich organisiert ist sei es nach deutschem Recht
(z. B. als Körperschaft des öffentliches Rechts, als
rechtsfähiger oder nichtrechtsfähiger Verein) oder aber nach
ausländischem Recht (Massfeller/ Hoffmann, PStG § 2 Rdnr. 17, §
11 Rdnrn. 53 bis 56, § 21 Rdnr. 64 und § 60 Rdnrn. 9 und 10).
Entsprechende Verwaltungsanweisungen für die Standesbeamten
enthält auch die Dienstanweisung für die Standesbeamten
und ihre Aufsichtsbehörden (DA 1987) in § 64 Abs. 4.
Von diesem Rechtsgrundsatz ist das
Landgericht in diese Sache auch zutreffend ausgegangen.
Es hat
ferner in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, daß
eine rechtliche Organisation der jezidischen
Religionsgemeinschaft weder in der Türkei noch iz der
Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden. Könne. Diese
Annahme wird durch sämtliche in der ersten und der Zweiten
Instanz zu den Akten gelangten Stellungnahmen der Universität
Göttingen des Bundesverbandes der deutschen Standesbeamten e.V.
Fachausschuß ‑ und der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen
Kirche, der Katholischen Kirche, der AWO und des DRK zur
Betreuung ausländischer Mitbürger in Horn‑Bad Meinberg sowie der
Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirchenamt, Islamreferat,
gestützt.
Das Landgericht hat indessen
gemeint, von dem Erfordernis des rechtlichen Bestandes der
Religionsgemeinschaft müsse dann eine Ausnahme gemacht werden,
wenn die Religionsgemeinschaft ‑ wie hier ‑ in dem Lande, in dem
sie bestehe (hier: in der Türkei) unterdrückt werde und dadurch
an einem rechtlichen Zusammenschluß gehindert sei. Daß im
vorliegenden Falle die Jeziden wegen der Bedrohung in ihrem
Land an einer rechtlichen Organisation gehindert seien. – folge
hinreichend deutlich aus den angeführten Stellungnahmen. Wolle
man gleichwohl an dem Erfordernis des rechtlichen Bestandes der
Religionsgemeinschaft festhalten, dann stelle man Anforderungen,
die die betreffende Gemeinschaft gar nicht erfüllen könne. Im
übrigen würde man gerade solche Zusammenschlüsse benachteiligen
die eine besonders enge Beziehung untereinander und zum Glauben
halten. Dies könne man zwar eventuell deshalb hinnehmen, weil die
Eintragung der rechtlichen Religionszugehörigkeit – jedenfalls in
Deutschland ‑ keinerlei rechtliche Folgen nach sich ziehe. Darauf
könne es aber letztlich nicht ankommen. weil der Gesetzgeber
bestimmten Gruppen eine Eintragungsmöglichkeit gewährt habe und
sich infolgedessen die ausgeschlossenen Gruppen diskriminiert
fühlen könnten. Nach Ansicht der Kammer müsse jedenfalls für
Religionsgemeinschaften, die die Forderung nach einem rechtlichen
Bestand nicht erfüllen könnten das Personenstandsgesetz („§ 11
Abs‑ 1 Nr. 1“) dahin ausgelegt werden, daß der rechtliche Bestand
einer solchen Religionsgemeinschaft nicht Voraussetzung für die
Eintragung sei. Man könne ‑ jedenfalls zur Zeit ‑ auch vor, den
Jeziden in Deutschland nicht verlangen, daß sie sich rechtlich
organisierten. Eine solche Organisation entspreche nicht den
bisherigen ‑ natürlich auf ihr Heimatland zugeschnittenen ‑
Lebensformen. Man werde deshalb eine rechtliche
Organisation allenfalls dann von ihnen verlangen können, wenn
ihre Aufnahme in der Bundesrepublik so gefestigt und
gesichert sei, daß sich ihr tägliches Leben und die Ausübung
ihrer Religion auch daran ausrichten könnten.
Ob die ‑
mit der weiteren Beschwerde angezweifelte - Feststellung des
Landgerichts zutrifft, daß den in Deutschland lebenden Jeziden
eine rechtliche Organisation ihrer Religionsgemeinschaft bisher
nicht möglich und zuzumuten gewesen sei, kann dahingestellt
bleiben. Denn dem Senat erscheint jedenfalls die vom Landgericht
angenommene Ausnahme vom Erfordernis der rechtlichen
Religionszugehörigkeit als Voraussetzung für dessen Eintragung im
Geburtenbuch sind damit vom rechtlichen Bestand der
Gemeinschaft nicht gerechtfertigt.
Hervorzuheben ist zunächst, daß ausschließlich die rechtliche
Zugehörigkeit zu einer Kirche usw. den Gegenstand der
Personenstandsbucheintragungen bildet. Aus der Eintragung oder
Nichteintragung einer rechtlichen Religionszugehörigkeit lassen
sich also keinerlei Schlüsse auf den Glauben, die innere
religiöse Einstellung einer Person ziehen. Das ist einhellige
Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. BayObLG StAZ 1982.
211, 213: Massfeller/ Hoffmann, 2 PStG Rdnr. 17 'und § 11 Rdnr.
53), Das gilt um so mehr, als die rechtliche Zugehörigkeit oder
die Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft in die Personenstandsbücher nur
eingetragen werden darf, Wenn die betreffende Person sich damit
ausdrücklich einverstanden erklärt.
Durch das
Erfordernis der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Kirche
usw. als Eintragungsvoraussetzung werden also die Grundrechte aus
Art. 4 Absätze 1 und 2 GG ‑ Freiheit des Glaubens des
Gewissens und des religiösen sowie weltanschaulichen
Bekenntnisses und die ungestörte Religionsausübung keiner Weise
beeinträchtigt.
In dem
erwähnten Erfordernis vermag der Senat auch ‑ im Gegensatz zum
Landgericht ‑ keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG zu sehen,
wonach niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen
Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Da die
religiöse Anschauung und ihre Betätigung durch eine Person ‑ wie
oben ausgeführt durch das in Rede stehende Erfordernis in keiner
Weise behindert wird, kann von einer Benachteiligung wegen
des Glaubens oder der religiösen Anschauungen keine Rede sein.
Darüber hinaus liegt aber auch
keine "Benachteiligung" der Beteiligten zu 1) vor, wenn ihre
jezidische Religionszugehörigkeit in den
Personenstandsbucheintragungen nicht verlautbart wird. Das ergibt
sich aus dern Sinn und Zweck der Eintragungen über die rechtliche
Zugehörigkeit zu einer Kirche usw.
Daß mit diesen Eintragungen
keinerlei Rechtsfolgen verknüpft seien, wie das Landgericht
gemein', hat, trifft nicht zu. Derartige Eintragungen müssen
nämlich im Zusammenhang gesehen werden mit der Verpflichtung, dem
Standesbeamten die rechtliche Zugehörigkeit oder
Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche usw. anzugeben. Soweit diese
Verpflichtung nicht besteht, scheidet auch die Möglichkeit einer
Eintragung in einem Personenstandsbuch aus.
Nach §41
Abs. 2 DA 1981 haben diejenigen, die einen Standesfall anzeigen.
und ferner die Eheschließenden dem Standesbeamten die rechtliche
Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche usw. auch
dann anzugeben, wenn die Beteiligten mit der Eintragung in
das Personenstandsbuch nicht einverstanden sind. Diese Angabe
bildet sodann die Grundlage für die in § 40 Abs. 1 Nr. 3 DA 1987
angeordnete Aufnahme eines entsprechenden Vermerks in das vom
Standesbeamten zu führende Namenverzeichnis. Aus diesem
Namenverzeichnis dürfen, wie § 86 Abs. 4 DA 198 1 bestimmt.
Auskünfte über die rechtliche Zugehörigkeit einzelner Personen zu
einer Kirche, Religionsgesellschaft oder
Weltanschauungsgemeinschaft nur den Kirchen,
Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften
erteilt werden, denen diese Personen angehören.
Nach § 100
Abs. 1 DA 1987 hat der Standesbeamte, wenn er zu einem
Geburtseintrag einen Randvermerk über eine Berichtigung oder eine
Änderung des Namens einträgt, dies dem für den Sitz des
Standesamts zuständigen Kirchenbuch führer mitzuteilen, wenn die
rechtliche Zugehörigkeit zu einer Kirche usw. erkennbar ist.
Nach § 139
Abs. 1 Nr. 5 DA 1987 haben die Verlobten bei Bestellung des
Aufgebots ihre rechtliche Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit
zu einer Kirche usw. anzugeben mit der Erklärung, ob sie mit der
Eintragung der Angaben hierüber in das Heiratsbuch und in
das Familienbuch einverstanden sind oder nicht.
Die Angaben über die rechtliche
Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit einer Person zu einer
Kirche usw. hat der Standesbeamte nach § 398 DA 1987 in
sogenannte Zählkarten zu übernehmen, die er nach dem Bundesgesetz
über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes i.d.F. des Gesetzes vom
16.8. 1980 (BGBl. I S. 1429) anzulegen hat.
Des weiteren hängt das Recht der
Kirchen, Religionsgesellschaften usw. zur Erhebung von Steuern
von der rechtlichen Zugehörigkeit des Betroffenen zu der Kirche
usw. ab.
Fehlt es an der rechtlichen
Zugehörigkeit zu einer Kirche usw., so entfallen auch die
vorstehend aufgeführten rechtlichen Folgerungen. In diesem Falle
besteht keine Verpflichtung, die (rechtliche) Zugehörigkeit zu
einer Kirche usw. anzugeben, scheidet die Aufnahme in das
Namenverzeichnis aus, entfallen Auskünfte aus dem
Namenverzeichnis, Mitteilungen an Kirchenbuchführer, die Aufnahme
in die Zählkarten für die Statistik und auch die Eintragung auf
der Lohnsteuerkarte für Zwecke der Kirchensteuer (vgl. dazu auch
BayObLG. StAZ 1982, 211, 213).
Ein
Nachteil für den Betroffenen ist in dem Wegfall dieser
Rechtsfolgen nach Auffassung des Senats nicht zu erblicken.
Soweit die
entsprechende Eintragung in den Personenstandsbüchern auch einen
geeigneten Nachweis der Religionszugehörigkeit darstellt im
Hinblick auf die religiöse Erziehung eines Kindes nach den
Bestimmungen des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom
15. 7. 1921, auf die Auswahl eines Vormundes (§ 1779 Abs. 2 BGB)
und auf Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts darüber, ob dem
Vormund die Sorge für die religiöse Erziehung des Kindes zu
entziehen ist (§ 1801 BGB), kann dieser Nachweis, bei dem es um
den Glauben, die innere religiöse Einstellung und nicht um die
rechtliche Religionszugehörigkeit geht, durchaus auch auf andere
Weise als durch die Eintragung im Personenstandsbuch erbracht
werden.
Als ein derartiger Nachweis
können im vorliegenden Falle nach Auffassung des Senats
unbedenklich die Bescheinigungen angesehen werden, die die
Beteiligten zu 1) vom .Geistlichen Oberhaupt der jesidischen
Religion in Europa" beigebracht haben.
Entgegen
der Ansicht der Beteiligten zu 1) und ihrer
Verfahrensbevollmächtigten bedeutet die Bestimmung des § 64 Abs.
4 DA 1987, wonach die "rechtliche Zugehörigkeit" zu einer Kirche
(usw.) nur eingetragen werden darf, wenn die Kirche (usw.) die
Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts hat "oder
ihr Bestehen dem Standesbeamten bekannt ist", in ihrer zweiten
Alternative keine Ausnahme vom Erfordernis des rechtlichen
Bestandes der Kirche (usw.). Das ergibt sich zum einen daraus,
daß die Bestimmung eindeutig von der Eintragung der "rechtlichen
Zugehörigkeit" zu einer Kirche (usw.) handelt, die den
rechtlichen Bestand der Kirche (usw.) voraussetzt. Zum anderen
kann mit dem in der zweiten Alternative erwähnten "Bestehen" der
Kirche (usw.) eben nur das ‑ dem Standesbeamten bekannte
rechtliche Bestehen gemeint sein. Die Kenntnis des
Standesbeamten von der tatsächlichen Existenz einer
Religionsgemeinschaft ‑ wie sie der ‑Standesbeamte im Falle
hinsichtlich der Jeziden aus den erwähnten Bescheinigungen ihres
"Geistlichen Oberhauptes" entnehmen konnte und die durch die im
Laufe des Verfahrens eingegangenen gutachterlichen Stellungnahmen
sowie durch das ebenfalls erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichts
Minden [durch welches die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet
worden sei, die Beteiligte zu 1 b) des vorliegenden Verfahrens
als Asylberechtigte anzuerkennen. weil sie glaubhaft gemacht
habe, Angehörige des jezidischen Glaubens und deshalb in ihrer
türkischen Heimat von moslemischen Landsleuten verfolgt worden zu
sein] bestätigt wird ‑ genügt als Eintragungsgrundlage für die
Religionszugehörigkeit demgegenüber nicht.
Im übrigen könnten die durch
Gesetz, z. B. durch § 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG festgelegten
Erfordernisse auch nicht durch die Dienstanweisung als bloße
Verwaltungsvorschrift abgeändert werden.
Da hiernach die Eintragung der
drei Randvermerke vom 11. 7. 1988 wegen fehlender Rechtsgrundlage
unzulässig war, müssen diese Einträge berichtigt werden.
Dazu bedarf es einer
gerichtlichen Anordnung nach § 4 1 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit Abs‑
2 PStG.
Zwar kann auch der Standesbeamte
zur "gerichtsfreien" Berichtigung unzulässiger Einträge befugt
sein (vgl. etwa BGH, StAZ 1981. 320; OLG Frankfurt, StAZ 1976.
144; OLG Köln, StAZ 1968, 239 und Senat. StAZ 1988. 40). Das
setzt aber voraus, daß die Unzulässigkeit auf "eindeutigen
Fehlern bei der Anwendung klarer Vorschriften" beruht (BGH
a.a.O.). So verhält es sich in dieser Sache nicht. Hier war für
den Standesbeamten keineswegs eindeutig klar. daß die
Religionsgemeinschaft der Jeziden keinen rechtlichen Bestand hat
und daher nicht durch Randvermerk beigeschrieben werden konnte.
Die ihm vorgelegten Bescheinigungen des „Geistlichen Oberhauptes
der jesidischen Religion in Europa“, die mit Siegel und
Unterschrift versehen waren. konnten durchaus den Eindruck
erwecken, vom Vertretungsorgan einer rechtlich organisierten
Religionsgemeinschaft herzurühren. Deswegen kann von einem
eindeutigen Fehler bei der Anwendung des 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG
nach Ansicht Senats keine Rede sein.
Ordnet das
Gericht ‑ wie hier ‑ eine Berichtigung an, so muß es den Text des
Berichtigungsvermerks grundsätzlich wörtlich bestimmen damit ihn
der Standesbeamte ohne weitere Überlegungen übernehmen kann (Kuntze
a.a.O. 232 Massfeller/ Hoffmann § 47 PStG Rdnr. 51; Pfeiffer /
Strickert § 47 PStG Rdnr. 10 mit weit. Nachw.). Die gerichtliche
Anordnung (Entscheidung) muß im Randvermerk bezeichnet sein und
zwar genügend bestimmt, also zumindest unter Angabe des
Datums oder des Aktenzeichens (Senat. StAZ 1975, 313, OLGZ
1975, 275. 276, 277; Massfeller/ Hoffmann § 47 PStG Rdnr. 51). In
dieser Hinsicht sind die vom Amtsgericht in des Beschlüssen
vom 13.2. 1981 1,19891 angeordneten Randvermerke
ergänzungsbedürftig, weil sie die ihnen zugrundeliegende
gerichtliche Entscheidung weder nach dem Datum noch nach dem
Aktenzeichen konkretisieren.
Soweit das
Amtsgericht angeordnet hat, der jeweilige Randvermerk vom
11. 7. 1988 solle durch den Berichtigungsvermerk "gelöscht"
werden, ist die damit beabsichtigte Rechtsfolge zwar
deutlich genug erkennbar gemacht aber unsachgemäß
bezeichnet. Ziel des jeweiligen neuen Randvermerks ist es, die
Rechtswirkungen des jeweiligen früher, Randvermerks vom 11.
7. 1988 sozusagen auszulöschen. Das Gesetz sieht aber in den
Personenstandsbüchern, anders ab im Grundbuch und im
Handelsregister, keine "Löschungen", vor; berichtigende
Eintragungen werden nicht durch Rötung Durchstreichung oder
Unkenntlichmachung, sondern durch neue Randvermerke (im
Geburten‑, Heirats‑ und Sterbebuch) oder sonstige Vermerke (im
Familienbuch) vorgenommen und das gilt auch für die Berichtigung
(Rück‑ oder Weiterberichtigung) solcher Vermerke (allgemeine
Ansicht z. B. Kuntze a.a.O. 231‑ BayObLG, StAZ 1982, 211,
212; Pfeiffer/ Strickert § 47 PStG Rdnr. 10).
Es
erscheint daher im vorliegenden Falle sachgerecht, im jeweiligen
Berichtigungsvermerk zum Ausdruck zu bringen, daß der zu
berichtigende Randvermerk vom 11.7. 1988 "als unzulässig
entfällt".
Entsprechend den vorstehenden Ausführungen hat der Senat die
Entscheidungen des Amtsgerichts neu gefaßt Mit dieser Maßgabe
mußten die angefochtene Beschwerdeentscheidung ‑ ausgenommen der
Ausspruch über die Nichterstattung außergerichtlicher Kosten ‑
aufgehoben und die sofortigen Erstbeschwerden der Beteiligten zu
1) gegen die drei Beschlüsse des Amtsgerichts vom 13.2. 1988
zurückgewiesen werden.
(Mitgeteilt
von Konrad Arps; Richter am OLG, Hamm;
§§
11, 47 PStG, Art. 4 GG
Die
Zugehörigkeit zur yezidischen Religionsgemeinschaft kann in das
Heiratsbuch eingetragen werden.*
AG Gießen. Beschluß vorn 24.
Februar 1‑99.5 ‑ 22 III 133/94
Aus den Gründen:
Das
Ordnungsamt als Standesamtsaufsicht hat beantragt den
Heiratseintrag zu berichtigen. Es vertritt die Auffassung, die
hier eingetragene yezidische Religionsbezeichnung der Eheleute
sei unzulässig, da eine solche Religionsgemeinschaft (rechtlich)
nicht bestehe. Dem sind die Eheleute E. entgegen getreten.
Der Antrag
war zurückzuweisen. Daran, daß eine yezidische
Religionsgemeinschaft als religiöse Minderheit besteht und
eintragungsfähig ist, kann kein Zweifel bestehen. Angehörige
dieser Glaubensgemeinschaft erhalten in der Bundesrepublik
Deutschland wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Religion Asyl.
Selbst das Hessische Innenministerium hat in einem Runderlaß vorn
1.12.1994 einen Abschiebestop türkischer Staatsangehöriger „yezidischen
Glaubens“ angeordnet. Zu dem muß in in konformer Anwendung des
Art. 4 GG der Begriff der Religionsgemeinschaft weit
ausgelegt werden.
Eingesandt
von Helmut Fricke, Oberamtsrat
Gießen
Rechtsprechung:
Yeziden in Syrien nicht sicher
Das OVG NW hat in
einem Urteil vom 22.01.2001, Aktenzeichen: 8 A 4154/99.A
entschieden, dass Yeziden in Syrien vor politischer Verfolgung
nicht hinreichend sicher sind und dass auch bei einem
langjährigen Aufenthalt der Yeziden in Syrien die Voraussetzungen
des § 27 AsylVfG nicht vorliegen und der Aufenthalt somit der
Asylanerkennung nicht entgegensteht. Aufgrund des Umstandes, dass
die Vorfahren der Klägerin vor Jahrzehnten aus der Türkei nach
Syrien geflüchtet sind, in Syrien aber die syrische
Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, geht das OVG von dem
Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit aus. Weiterhin stellt
das OVG mit diesem Urteil klar, dass im Gegensatz zu der
Vorinstanz im Rahmen des § 27 AsylVfG auch dann der reduzierte
Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrundezulegen ist, wenn in dem
Drittstaat keine Verfolgung stattgefunden hat.
Da in den letzten
Jahren mehrere tausend Yeziden aus Syrien nach Deutschland
geflüchtet sind, die nicht im Besitz der syrischen
Staatsangehörigkeit waren und deren Vorfahren aus der Türkei
stammen, könnte diese Entscheidung für eine Vielzahl von
Asylverfahren von Bedeutung sein. Bei einer Vielzahl von
Entscheidungen des Bundesamtes und auch der Gerichte wird bei
diesen Sachverhalten häufig von einer ungeklärten
Staatsangehörigkeit und wegen des langjährigen Aufenthalts in
Syrien von der Verfolgungssituation in Syrien ausgegangen. Dies
erfolgte zum Teil trotz ausdrücklichen Hinweises auf das
Vorliegen der türkischen Staatsangehörigkeit.
Das Urteil ist noch
nicht rechtskräftig. Eingereicht von: Rechtsanwalt Günter Meyners,
Detmold.
Richter
schützen Totenwürde
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