Kapitel Eins


 

 

Die Hochzeit


Wie bereits erwähnt dürfen die Êzîden im Monat April nicht heiraten, also keine Hochzeiten feiern, weil dieser Monat heilig ist und nach ihrer Lehre der Monat April selber „die Braut des Jahres“ ist. Für die Êzîden beginnt auch der Monat April wie alle anderen Monate vierzehn Tage später, wie es nach christl. Zeitrechnung üblich ist. Demnach ist der 14. April bei den Êzîden der 1. April. Die Zeit von 14. April bis 13. Mai ist den Êzîden heilig, weil es April ist, und in dieser Zeit dürfen keine Hochzeiten gefeiert werden. Sind die Geschenke gekauft und das vereinbarte Next an die Eltern der Braut gezahlt, kann auch die Hochzeit gefeiert werden. 

Und so war es in den Dörfern:

 

Vor der Hochzeit sind die Eltern (beiderseits) mit der Braut einkaufen gegangen, um für die Brautpaare die Geschenke, die am Verlobungsabend vereinbart wurden, Hochzeitsanzüge und  Brautkleider zu kaufen. Diese werden an einem bestimmten Tag vor der Hochzeit von den zukünftigen Schwiegereltern zu der Braut getragen. Das wird „hilgirtina cem Bûkê“ genannt.

Auch die Verwandten und die Ehrengäste bekommen von des Bräutigams Eltern ein Geschenk, wenn sie zu der Hochzeit eingeladen werden. 

Am ersten Abend wird der Êvara Hennê (Hineabend bzw. Polterabend) gefeiert. Die gesamte Verwandtschaft und die Bewohner des Dorfes werden dazu eingeladen. Die Jugendlichen, die Mädchen und auch die Jungs aus dem Dorf, versammeln sich bei der Braut in dem Haus ihrer Eltern, um sie, die Braut, für die Hochzeit mit Hennê schick zu machen. Wenn die Braut in einem anderen Ort als der Bräutigam wohnt, dann wird bereits vorher eine Gruppe Berbûrî („Brautholler“)  geschickt um sie für die Hochzeit vorzubreiten. Die Berbûrî nehmen für diesen Fall Süßigkeiten und auch einige Schlachttiere, für die Bewirtung der Gäste mit.

Wenn die Braut aus einem anderen Dorf geholt wird, dann müssen die Berbûrî für die Jugendlichen dieses Dorfes ein  Geschenk mitbringen und ihnen nach Verlangen überreichen. Die Jugendlichen kommen dafür eine Strecke den Berbûrî entgegen und sperren ihnen den Weg. Die Berbûrî dürften nicht weitergehen, ehe die Jugendlichen das Geschenk bekommen haben. Das ist dafür, weil ein Fremder eines von ihren Mädchen nimmt und es ist darüber hinaus noch eine Belustigung für alle.

Nachdem die Braut gekleidet ist, wird ein Bruder von ihr gerufen, der ihre Rücken binden soll. Er bindet einen Strick, gewöhnlich in roter Farbe, wie einen Riemen um ihren Rücken. Er bindet den Strick (Stoffriemen) zweimal zu einer Schleife und macht sie wieder auf. Beim dritten Mal ist der Riemen endgültig zugebunden. Das wird Piştgirêdan („Rückenbinden“) genannt. Ohne diesen Stoffriemen wird die Braut das Haus ihrer Eltern nicht verlassen. Der Bruder bekommt von den Schwiegereltern des Mädchens für seinen Dienst ein Geschenk.

Manchmal wird die Tür von innen von einer Frau oder Mädchen verriegelt und nicht aufgemacht, bis man auch ihr dafür ein Geschenk gegeben hat. Das nennt man Piştderî. Erst nach all diese Zeremonien wird der Braut erlaubt das Haus ihrer Eltern verlassen zu dürfen. Die buntgekleidete Braut wird von zwei Mädchen in Begleitung von vielen Gästen und Musikern, die ohne Pause auf ihren Musikinstrumenten fröhliche Lieder spielen, in ihr zukünftiges Haus geführt. Die Braut darf nicht auf demselben Weg geführt werden auf dem die Berbûrî zu ihr gekommen sind. Sie müssen einen anderen Weg fürs Zurück wählen. Wenn es sich um einen Tochtertausch bzw. Schwestertausch handelt, dann werden sie jeweils von ihren Verwandten begleitet und unterwegs gegeneinander ausgetauscht. Sie (die Bräute) müssen dabei einander mit der rechten Schulter berühren.

Kurz vom Ziel muss die Braut wieder warten. Einen ihrer Schuhe muss sie einem Mädchen geben, das den Hochzeitszug begleitet. Das Mädchen nimmt den Schuh und bringt ihn zu dem Bräutigam, der gewöhnlich auf dem Dach seines Hauses steht und ungeduldig auf seine Braut wartet. Er muss wieder in die Tasche greifen um dem Mädchen, das den Schuh trägt, ein Geschenk (Geld) zu geben. Das Mädchen kehrt mit dem Schuh erst zurück, wenn sie mit dem Geschenk (Summe des Geldes) einverstanden ist. Das Geld teilt sie danach mit ihren Freundinnen. Auch die Braut muss einer anderen Gruppe etwas schenken: während sie auf ihren Schuh warten muss, bringt eine andere Gruppe das handgestickte Taschentuch des Bräutigams zu ihr und sie muss genauso wie ihr Bräutigam in die Tasche greifen, damit er sein Taschentuch wiederbekommt.

Die Eltern der Braut geben ihr am Hochzeitstag einige Sachen mit. Darunter ist auch ein selbstgemachtes Kopfkissen, genannt Balgihê Bûkê (das Kopfkissen für die Braut) auch das Kopfkissen wird von einer weiblichen Person getragen, dafür bekommt auch sie ein Geschenk. Die übrigen persönlichen Sachen werden in eine Truhe (kurd. Seppet) getan. Auch das war ein begehrtes Objekt für die Leute, die gerne ein Geschenk haben wollten. Jemand, meist eine Frau, setzt sich darauf und steigt nicht ab, bis auch sie ein Geschenk bekommt.

Vorm Eingang des Hauses bleibt die Braut stehen und verlangt ihr Brautgeschenk (Xelata Bûk herimandinê), ihr Schwiegervater oder wenn er nicht anwesend ist, dann ein Verwandter aus seiner Familie fragt, was sie haben will. Gewöhnlich nennt sie einen bestimmten Goldschmuck. Wenn ihr versprochen wird, dass sie es bekommt, was sie will, dann wird vor ihren Fußen ein Krug voller Süßigkeiten und kleiner Geldmünzen, als Zeichen für Liebe und Reichtum, die ihre Zukunft bestimmen werden, zerbrochen. Die Kinder lesen die Süßigkeiten und die Geldmünzen aus. Endlich darf die Braut jetzt in ihr zukünftiges Haus eintreten.

Alle feiern gemeinsam, bis tief in der Nacht, ein wunderschönes Fest. Die Gäste bekommen ein deftiges Mahl serviert, das gewöhnlich aus frischem Fleisch, Savar (auch Bulgur genannt) und Tirşik (Gemüsesuppe) besteht. Die Gäste bringen ihrerseits für das Paar ein Hochzeitsgeschenk mit, gewöhnlich Bargeld oder auch Gold. Nachdem sich alle satt gegessen haben, breitet man ein Tuch auf den Boden oder einen Tisch und die Gäste legen nach und nach die mitgebrachten Geschenke darauf. Wenn alle ihre Geschenke abgegeben haben, wird das Geld, und auch Goldschmuck, vor Augen aller Anwesenden, gezählt und in ein Tuch gewickelt. Die Bräutigamseltern bekommen das Tuch mit den Geschenken überreicht. Am nächsten Morgen werden die Frauen des Dorfes eingeladen und jede von ihnen bekommt von der Braut einige Geschenke, die sie extra dafür von ihrem Geld gekauft hat. Das sind häufig Handtücher, Socken oder selbst gestickte Taschentücher etc. Auch die Gäste nehmen einen kleinen Geldbetrag als Geschenk mit und geben ihr das.

Nach etwa einer Woche Ehe wird die Braut noch einmal ins Elternhaus zurückgeholt. Dabei wird sie von ihrem Ehemann begleitet, der ebenfalls von den Schwiegereltern eingeladen wird. Das ist ihre letzte Gelegenheit um sich von ihren Liebsten endgültig zu verabschieden. Bei diesem Besuch bekommt sie von ihren Eltern zum letzten Mal ihren Anteil vom elterlichen Hab und Gut. Das wird „Malbavan“ genant und die Geschenke heißen „Xelata mala Bavê“.

So ist es, wie ich hier beschrieben habe, bei den Êzîden in Tur Abdin (Kreis Midyat und Nuseybin) gewesen. Bei den anderen Êzîden, die in anderen Regionen bzw. Ländern lebten, war es auch so oder ähnlich. Bei den Xalta-Êzîden ist nur die Art der Schenkung anders. Hier bekommen die Brauteltern die Hochzeitsgeschenke, die von den Gästen mitgebracht werden. In Tur Abdin ist es umgekehrt.

Man erkennt anhand der Summen, die die Êzîden für eine Hochzeit bezahlen müssen, wie wichtig die Heirat für sie ist. Alle ihre Kinder glücklich zu verheiraten ist größte Wunsch von allen ezidischen Eltern. Man dürfte deshalb ihnen auch nicht übel nehmen, wenn sie bei der Suche nach einem geeigneten Partner für ihre Kinder mitentscheiden wollen.

 Trauung

 

Bei den Êzîdî ist es nicht erlaubt, dass ein Paar zusammen lebt, ohne offiziell verheiratet zu sein. Wenn ein Paar zusammen lebt, dann sind sie auch offiziell verheiratet. Streng genommen, ist die Hochzeit gleich Eheschließung. Die Paare werden von einem Pêşîmam (Peschimam) getraut. Wenn kein Peşîmam anwesend ist, dann wird die Trauung später nachgeholt. Heiraten dürfen sie auch ohne Trauung. Eine Trauung, die von einem Peşîmam vollzogen wird, ist zwar üblich aber nicht zwingend.

 

 
 

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© Niviskar:  Ferhun Kurt 

 

Die chronologische Geschichte einer leiderprobten, kleinen Religionsgemeinschaft

 

 

 


Einfuehrung des Autors


Einleitung


Kapitel Eins


Kapitel Zwei


Kapitel Drei


Kapitel Vier


Anhang