Kapitel Eins
Gebote und
Verbote
Die Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Religion ist kein Freibrief für den Weg ins
Paradies. Jeder Mensch kann unabhängig von seiner Religion böse
und auch gut sein. Eine andere These ist, dass Gott die Menschen
auch diesseits für ihre Taten bestrafen und auch belohnen kann.
Z. B. als Strafen gelten unheilbare, schwere Krankheiten,
Naturkatastrophen, Hungersnöte etc. Als Belohnung gelten viele
gesunde Kinder, Reichtümer, ein gesundes Leben etc. Die guten
Taten eines Menschen können auch seiner Nachkommenschaft zu Gute
kommen. Gott kann die Menschen wegen einer Sünde in die Hölle
schicken, aber auch wegen einer Wohltat ins Paradies schicken,
deshalb muss der Mensch immer darauf bedacht sein, was er tun
will.
Der Monat April (kurd.
Meha Nîsanê) ist den Êzîdî heilig, in diesem Monat dürfen die
Êzîdî nicht heiraten, den Boden nicht bewirtschaften und die
Bäume nicht abschneiden, weil der Monat selber schwanger ist,
also die Natur gedeiht und darf dabei nicht gestört werden. Der
Monat April ist die Braut des Jahres, es ist der schönste Monat
im Jahr und deshalb ähnelt er einer bunt geschmückten Braut. In
diesen Monat hat das Leben auf der Erde begonnen.
Bei den Êzîdî gibt es
viele Sünden, die sie nicht begehen dürfen. Manche Verbote sind
nur für eine Gruppe gültig, wehrend andere für alle Gültig sind.
Von den Letztgenannten sind drei unverzeihlich und bedeuten den
Ausschluss aus der Gemeinschaft. Şirîaat, Terîqat und
Derba Xirqa.
„Şirîaat“: eine sexuelle Beziehung mit
Andersgläubigen ist verboten.
„Terîqat“: kein Sex mit eine andere
Êzîdî-Gruppe, die für dich verboten ist.
„Derba Xirqa“: heißt, dass man unter
keinen Umständen einen Feqîr, der Xirqa und Kulik an hat
gewalttätig angreifen darf.
Darüber hinaus gilt
für die Êzîdî, alles was mit Gewalt zu tun hat ist verboten, weil
es Sünde ist. Mord, Lüge, Diebstahl, Betrug, Verleumdung,
Wortbruch, Ehebruch, eine verheiratete Frau begehren u. v. m.
Alle Dinge/ Taten, mit denen man Mitmenschen und anderen
Lebewesen schaden zu fugen kann, sind nicht erlaubt, also Sünde.
Ihnen sind auch
bestimmte Essgerichte verboten (Schweinefleisch, Lattich (Xas),
Chinakohl und andere Kohlsorten und Salatgemüse, Bohnen,
Hahnfleisch (nur für Şêxê Amadîn und seine Jüngern), Kürbis dazu
gehören auch Züchinis (nur für Şêxê Melek Fexreddîn und seine
Jüngern), die blaue Farbe (nur Himmelblau), auch bestimmte Worte,
z. B. der Name, der bei Moslems und Christen als Herr der Hölle
gilt und Jemandem anspucken ist verboten. Das und noch einige
mehr sind die Gebote für die Êzîdî.
Eine andere Sitte: der
Tugend, die im Laufe der Zeit immer mehr in Vergessenheit gerät
und scheinbar nicht mehr beachtet wird, aber früher bei den Êzîdî
sehr eigentümlich war, ist: Niemals jemanden Schaden zu fügen,
bei dem man einmal Brot gegessen habe. Wenn die Êzîdî von
jemandem bewirtet wurden, dann war es ihnen verboten, dem Wirt zu
schaden, auch wenn dieser früher ein „Feind“ gewesen ist.
Die Êzîdî glauben,
dass die Menschen dazu nicht berechtigt sind eine Sünde
aufzuheben bzw. zu sühnen, dazu ist nur Gott und seine Engel
berechtigt. Sie schreiben im Himmel alle Taten von Menschen,
sowohl Güte als auch Böse auf und nach dem Tode werden beide
Taten, Böse und Gute in einer Waage gewogen und danach wird
beurteilt welche Strafe man unterzogen wird, also Hölle oder
Paradies. Deshalb legen sie auch keine Beichte ab und auch die
Geistlichen sind dazu nicht berechtigt. Etwas, wie den
Beichtstuhl bei den Christen gibt es bei den Êzîdî nicht. Wobei
zu erwähnen ist, dass der Tanz bei Lalişa Nûranî, der alle Jahre
stattfindet den Gläubigen die Hoffnung gibt, dass dadurch ihnen
die Sunden vergeben werden. Dieser Tanz wird „Dîlana derê Kanîya
sippî“ genannt.
Jeder Êzîdî, unabhängig von seiner
Gruppe, muss einen Sêx, einen Pîr (der ist der Hoste = Meister),
einen Merebî, einen Yar und einen Birayê Axretê (der Bruder für
Jenseits) noch zu Lebzeiten haben. Jeder ist auch verpflichtet
diesen Personen jährlich Fitû zu geben. Seit jeher ist festgelegt
welche Gruppe von Sêx und Pîr für welche Sippe bzw. Clan
zuständig ist. Nur den Birayê Axretê darf jeder frei wählen.
Es gibt noch ein weiteres Dokument
von 1908, das von Ismail Beg, dem Prinzen der Êzîdî verfasst
wurde, und das er den Êzîdî in Armenien geschickt hat. In dem 24
Gebote bzw. Instruktionen für die dort lebenden Êzîdî aufgeführt
werden.
Das Dokument von Mîr Ismail Beg,
dem Sohn Abdi Beg:
(Quelle: Ilhan Kizilhan, „Die
Yeziden“, 1997 Frankfürt/M)
1. Wir glauben an einen Gott, den
Schöpfer des Himmels, der Erde und allen Lebens.
2. Unser Prophet ist Ezid.
3. Die Yeziden haben kein
Gebetbuch: das Wort Gottes wird von Vater an den Sohn
weitergegeben. Dies wird in den Erzählungen des Gyliyê Azim
gesagt.
4. Es ist den Yeziden verboten,
eine Beziehung mit Personen eine deren Nation (Rasse, Religion)
einzugehen. Wer sich nicht daran hält, gehört nicht mehr dieser
Religion an.
5. Die Yeziden müssen die Menschen
anderer Nationen, anderer Herkunft, anderer Rasse und anderen
Glaubens mit Respekt behandeln.
6. Jeder Yezide muß nach unseren
Regeln Gott dienen. Tut er dies nicht, dann folgt er nicht dem
Weg Gottes.
7. Ein Yezide darf nicht die Frau
eines anderen entführen. Vielmehr soll er dem oder der Entführten
helfen und Schutz gewähren
8. Die Sheikhs der Yeziden sind in
drei Klans eingeteilt: Sheikh Hesen, Sheikh Schems und Sheikh
Abubekir. Jeder Klan darf nur Angehörige seiner eigenen
Sheikh-Gruppe heiraten.
9. Die Pirs sind in
zwei Gruppen eingeteilt. Pîrê Hosmamama und Pîrê Arafata und die
anderen, wie Pîrê Omarkhale usw. Jeder Angehörige einer
Pîr-Gruppe soll nur Mitglieder seiner eigenen Gruppe heiraten.
10 Mitgliedern der Kaste der Murids
(Volk) ist es nicht erlaubt, Mitglieder aus der Kaste der
Sheikhs oder Pîr`s zu heiraten. Eine solche Heirat bedeutet
Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft.
11. Gott hat die Welt und alle
lebenden Kreaturen in 6 Tagen geschaffen. Am 7. Tag ruhte er.
Deswegen sollen die Yeziden 6 Tage arbeiten und am 7. Tag ruhen.
12. Kein Yezide sollte sich
scheiden lassen. Außer, wenn durch drei Zeugen eine Untreue
bestätigt werden kann.
13. Der Heiratspreis
für eine Frau darf nicht höher sein als 100 Rubel. Der Preis für
eine Witwe darf nicht höher sein als 45 Rubel.
14. Den Yeziden ist es nicht
erlaubt, Geld gegen Zinsen zu verleihen.
15. Ein Yezide darf nicht am
Mittwoch baden oder Geschlechtsverkehr haben.
l6 Wucher ist streng verboten.
17. Ein yezidischer Priester muss
einen Bart tragen. Wenn er keinen Bart trägt, so sind die Murids
nicht verpflichtet ihn anzuerkennen oder ihm die Hand zu küssen.
l8. Diebstahl ist strengstens
verboten. Diebe müssen bestraft werden.
19. Ein Yezide muss respektvoll und
behutsam mit Menschen anderer Nationen und Herkunft umgehen. Er
darf nicht hinter dem Eigentum anderer hersein. Wer diese Regeln
nicht einhält verlässt den Weg Gottes.
20. Ein Yezide soll die Gesetze des
Landes befolgen, in dem er sich befindet.
2 I. In jedem Yeziden-Dorf muß ein
Chawush oder Micewir (Hüter der Religion) sein, welcher beim Tod
eines Yeziden sieben Tage fastet und die Qewwls (heilige
Gedichte) auf dem Grab des Toden zitiert.
22. In jedem yezidischen Dorf
sollen drei Personen die Einhaltung der Regeln überwachen.
23. Ein Yezide darf keine falschen
Schwüre leisten. Diejenigen, die das tun, sollen bestraft werden.
Ich (Ismail Beg) erlaube den Yeziden, ihre Gebete in der Sprache
und im Alphabet anderer Nationen zu schreiben, bis sie ein
eigenes Alphabet haben.
24.
Die Yeziden müssen Schulen bauen und ihre Kinder in der
Wissenschaft und in den Sprachen ausbilden.
Bissk
Jeder ezidischer Junge wird durch
Bissk getauft. Dabei schneidet sein Sêx, wehrend er (der Sêx) einen Qewwl
spricht, drei Strähnen von seinem Haar ab.
Sinnet (Beschneidung von Knaben)
Die Beschneidung ist für jeden Êzîdî,
männlichen Geschlechts, vorgeschrieben. Dabei wird das Vorhäutchen noch im
Kindesalter, zirkulär abgeschnitten.
Die Mädchen werden nur mit dem Wasser
von Kanîya Sippî getauft.
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