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Kapitel Eins
Die Feste
Die Êzîden feiern im Jahr
viele religiöse Feste. Einige habe ich bereits erwähnt. Die
Êzîden ermitteln die Zeiten für ihre Feste nach einem eigenen
Kalender. Der Kalender beginnt 14 Tage später als der
neuzeitliche Kalender. Also, für den Êzîden fängt am 14. der
Monat an und endet auch am 13. des darauf folgenden Monats.
1.
Batizmî:
Das heilige Fest der Çêlka Êzîden, zu Ehren
von Pîr Ali. Das Fest wird eine ganze Woche lang gefeiert. Ein
bis zwei Wochen vor dem Fest verteilen die Pîrê Pîr Ali ein Stück
selber hergestellte Hefe unter ihren Gemeindemitgliedern. Damit
wird das Brot für die Toten und die Sewik für das Fest gebacken.
Am Sonntag (wer es eilig hat
auch Samstag) ist Waschtag, man reinigt den Körper und wäscht die
Wäsche.
Am Montag und Dienstag wird
den Toten gedacht. Tiere werden geschlachtet und Brot wird
gebacken. Das Fleisch und das Brot wird unter den Dorfbewohnern
und Armen verteilt.
Am Mittwoch ist Schlachttag.
Jede Familie schlachtet ein Tier oder mehrere für dieses Fest,
seit Monaten gemästete Tiere. Ein Tier wird vorher für Pîr Ali
gekennzeichnet und von dem Fleisch werden sieben Stücke aus der
rechten Seite und dem Rücken entnommen und ungesalzen gekocht.
Am Donnerstag ist
Şîlan, oder auch Êwara Lekma genannt. Das Brot
für das Fest wird gebacken. Das Brot für das Fest wird Sewik
gennant. Die Speisen Reis, Aprikosensuppe und Mehîra Rehb, manche
nennen es auch Danika Rehb, werden gekocht und zusammen mit
gegrilltem Fleisch den Gästen serviert. Gegen Abend, vor
Sonnenuntergang, werden die Speisen zum Hause des Micêwir
getragen: die sieben gekochten Fleischstücke zusammen mit sieben
Sewik und einer Schüssel voller Rosinen in der aus Leinen
geflochtene und in Öl getauchte Dochte angezündet werden. Der
Micêwir nimmt sich seinen Teil davon und den Rest bringt man
wieder zurück nach Hause. Zu Hause werden die Sachen in dem Raum
gestellt und alle Personen im Haus sammeln sich um die Lichter
und
beten
für sich und ihre Angehörigen um Schutz und
Gesundheit für die bevorstehende Lebenszeit. Nachdem die Lichter
ausgebrannt sind, wird das ganze abgeräumt. Ein Teil von dem
Essen wird unter den armen Personen / Familien im Dorf verteilt
und Rest wird für die nachfolgenden Zeremonien in den Tagen
danach aufgehoben.
Donnerstag ist auch
Besuchstag. Alle Dorfbewohner besuchen sich
gegenseitig. Ganz besonders macht dieser Tag den Kindern Spaß.
Sie gehen von Haus zu Haus und bekommen Süßigkeiten und Obst
geschenkt. Nach dem sie alle Häuser des Dorfes abgeklappert haben
kehren sie wieder vollbeladen und glücklich nach Hause. Auch arme
Menschen aus anderen Dörfern kommen und gehen von einem Haus zum
nächsten und bekommen einen Xêr (fromme Gabe).
Von Donnerstagabend bis
Freitagmorgen sollte man nicht schlafen. Diese Nacht wird „şevrohnk“
genannt, was soviel wie helle Nacht bedeutet. Um die Zeit besser
zu überbrücken, gönnen sich die Jugendlichen häufig einen Spaß.
Sie verkleiden zwei junge Männer, einen als Kalik und den anderen
als Pîrik (Opa und Oma) und gehen von Haus zu Haus und bekommen
wieder eine kleine Summe Geld geschenkt. Dafür sprechen sie ein
kleines Gebet aus:
„Serê salê binê salê
xwedê Ewladekî bide Kebanîya vê Malê.“ Übersetzung: „Gott
möge am Jahresanfang und am Jahresende der Herrin dieses Hauses
ein Kind schenken.“ Das Geld teilen sich die Jugendlichen am
Ende.
Freitag ist Schlaftag. Jeder
sollte sich von dem Stress der vergangenen Tage erholen.
Am Samstag ist Arbeitstag.
An dem Tag wird wieder aufgeräumt und wenn noch Rohfleisch
übriggeblieben ist, dann wird es verarbeitet, damit es für die
nächste Zeit haltbar wird.
Am Sonntag werden die „Serî
û Pê“ gekocht, und es gibt wieder eine fettige Mahlzeit. Ein
Gericht das aus Kopffleisch und Innereien zubereitet wird.
Während dieser gesamten Zeit
herrscht bei den Çêlka Êzîden eine festliche Stimmung. Dafür
sorgen die Musiker, die häufig extra eingeladen werden. Das ganze
Dorf ist fröhlich am Tanzen und Spielen u. s. w.
2. Çilxana Zivistanê
(Vierzig Tage fasten im Winter, die letzten 20 Tagen von Dezember
bis 20. Januar, nach ezid. Kalender). Diese Fastenzeit ist nicht
für jedermann Pflicht, nur die frommen Êzîden und die Priester,
Feqîr, Baba Şêx etc. nehmen diese strenge Fastenzeit auf sich.
Sie dürfen vierzig Tage von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang
nicht essen und auch nicht trinken. Am 40. Tag wird gefeiert.
3. Çilxana Havînê
(das gleiche wie Nr. 2 noch einmal im Sommer und zwar die letzten
20 Tagen von Juni bis 20. Juli, nach ezid. Kalender)
4. Xidilyas, auch
Xidir Elyas genannt. Das Fest wird im Februar gefeiert und ist
für alle Völker Mesopotamiens heilig. Auch die Christen und
Moslems feiern das Fest. Man fastet drei Tage vor dem Fest. Für
das Fest werden sieben verschiedene Getreidesorten geröstet und
gemahlen. Am Abend vor dem Fest stellt man das Mehl an eine
saubere Ecke im Haus. Man glaubt, dass Xidir Elyas die Häuser
besucht und als Zeichen seines heimlichen Besuches mit der Hand
ein Zeichen im Mehl hinterläst. Am Festtag wird das Mehl aus
gerösteten Getreiden mit einer süßen Flüssigkeit, z. B.
Traubensaftsirup vermengt zu faustgroßen Kugeln gerollt und
gegessen. An diesem Tag dürfen die Êzîden keine Tiere schlachten
und sollen möglichst auch weite Wege meiden. Der Tag nach dem
Fest wird Xidilnebî gennant.
6. Tuwafen Welat
Şêx: Diese Feste finden im Frühling statt und werden
nur in dem Gebiet von Şêxan gefeiert. Die Gläubige besuchen die
heiligen Stätten. Dort wird mit Speisen als Opfergaben der Toten
gedacht. Nicht alle umliegenden Dörfer feiern gemeinsam, sondern
nacheinander, aber alle nehmen an den Feierlichkeiten teil. Das
Ganze wird mit Musik und Tänzen gefeiert.
7. Çarşema Sor (roter
Mittwoch) Mittwoch ist für die Êzîden, der wöchentliche
arbeitsfreie Tag. Es gibt viele Gründe dafür, dass Mittwoch von
den Êzîden heilig gehalten wird und auch für sie generell
Feiertag ist.
Am ersten Mittwoch im April
(das erste Mittwoch nach 13.April, (n. Ch.) erreichten die
Sonnenstrahlen die Erde und damit begann das Leben auf ihr.
Deshalb feiern sie an diesem Tag das heiligste Fest, das
Neujahrsfest Çarşema Sor (der rote Mittwoch), rot deswegen, weil
vermutlich die ersten Sonnenstrahlen den Himmel rot werden
ließen. Das Fest wird auch das Fest von Taus î Melek genant. Das
ist das allerheiligste Fest der Êzîden.
Darüber hinaus ist auch Şêxê
Melek Fexreddîn am ersten Mittwoch im April erschienen und wieder
fortgegangen. Wie ich bereits erwähnt habe, wird aus dieser
Gruppe von Şêx das geistliche Oberhaupt der Êzîden bestimmt.
Das Fest wird wie folgt
gefeiert: Noch anfang April werden für das Fest einige
Vorbereitungen getroffen. Man pflückt verschiedenfarbige Blumen
um sie am Festtag von Außen an Schwellen von Haustüren zu
befestigen. Als Befestigungsmittel wird nasse Erde genommen. Das
wird noch im April vorbereitet, weil man im April die Erde und
Vegetation nicht stören darf. Am Dienstag, einen Tag vor dem
Fest, werden Eier bunt bemalt, Joghurt gemacht, manche machen
Käse, und auch Milchreis wird gekocht.
Am Mittwoch wird gefeiert.
Die Kinder gehen von Haus zu Haus und bekommen bunte Eier
geschenkt. Joghurt und Käse werden unter den Nachbarn und Armen
im Dorf verteilt. Die bunten Blumen werden an den
Haustürschwellen befestigt. Auch Erwachsene besuchen sich
gegenseitig und bekommen bunte Eier geschenkt. Musiker spielen
pausenlos auf ihren Instrumenten fröhliche Lieder und die
Gläubigen stimmen es mit ihren Traditionstänzen ab.
Erwachsene und Kinder
spielen miteinander um ihre bunten Hühnereier. Dabei hält man
sein Ei mit der schmalen Spitze nach oben in der Faust, während
ein Anderer mit derselben Seite seines Ei darauf schlägt. Wessen
Ei dabei kaputt geht, der hat das Spiel verloren.
Am Freitag gehen die
Melkerinnen in die Wälder, um den Hirten eine bestimmte Mahlzeit
zu bringen und die Tiere zu melken. Dabei wird das erstgemolkene
Tier gekennzeichnet. Das Tier wird „Peza serekêş“ (das Leittier)
genant. Die Melkerinnen nehmen einem Hirten den Stock weg, mit
dem er die Tiere treibt. Dieser Streich bringt dem Hirten Glück
und seine Tiere werden alle gesund bleiben. Auch werden die
Schalen von den Eiern in den Getreidefeldern zerstreut. Das soll
eine reiche Ernte bringen.
Aber das aller wichtigste
bei diesem Fest ist die Versöhnung. Alle Streitereien zwischen
Êzîden sollen an diesem Tag beigelegt werden. Und Unstimmigkeiten
zwischen den Gläubigen müssen am roten Mittwoch behoben werden.
8. Basimbar: Das Fest
wird im April gefeiert. An diesem Tag wird den Kindern ein aus
zwei Fäden - weißen und roten - zusammengeflochtener Strick um
das Handgelenk und um den Hals gebunden. Der Faden wird auch auf
die Getreidefelder gebunden. Das soll den Kindern Glück und der
Familie eine gute Ernte bringen.
9. Cemayîa Şerfedîn:
Das Fest wird im August über mehrere Tage am Grab von Şerfedîn
mit Musik und Festessen gefeiert. Für das Mahl sorgen die
zahlreichen Teilnehmer mit ihren Opfermahlzeiten. Viele opfern
auch Tiere und versorgen die übrigen Gäste mit Fleisch und
anderen Gerichten. Dem Micêwir von Qûba Şerfedîn werden auch
kleine Geldsummen gespendet, die er zum Teil für sich und den
Rest für den Erhalt der Grabstätte ausgibt.
10. Cemayîa Şîxadî.
Das ist das größte Fest am Grab von Şêx Adî, es findet alle Jahre
vom 06. bis 13. Oktober statt und an dem sollten, wenn möglich,
alle Êzîden teilnehmen. Aber die politische Lage in dieser Region
machte es ihnen unmöglich dies zu tun.
Wie das Fest
gefeiert wird können wir von Layard erfahren, der vor etwa
hundertfünfzig Jahren (1848 bis 1852) während einer Reise daran
teilgenommen hatte und seine Eindrücke so gut wie kein Anderer
vor ihm und auch nach ihm festgehalten hat. An die Vorgehensweise
der Zeremonien dürfte sich bis heute nichts geändert haben.
»Der
allgemeine Hergang bei dem Feste zu Scheikh Adi und das Ansehen,
welches das Thal bei dieser Gelegenheit hat, habe ich bereits so
vollständig beschrieben, dass ich mich auf eine Schilderung der
Ceremonien beschränken darf, die mir das erste Mal nicht zu sehen
gestattet waren.
Etwa eine Stunde
nach Sonnenuntergang rief Kawal Jusuf mich und Hormuzd, dem
ausser mir allein der Zutritt gestattet
wurde,
in den innern Hof oder das Allerheiligste des Tempels. Wir
erhielten unsern Platz in einem Zimmer aus dessen Fenstern wir
alles sehen konnten, was in dem Hofe vorging. Die Kawals,
Scheikhs, Fakirs und vornehmsten Häuptlinge waren bereits
versammelt. In der Mitte des Hofes stand eine eiserne Lampe mit
vier Brennern, ‑ eine einfache Schüssel mit vier Schnauzen für
die Dochte, die auf einer spitzen Eisenstange befestigt war. Bei
derselben stand ein Fakir, der in der einen Hand eine brennende
Fackel hielt, in der andern ein grosses Gefäss mit Oel, aus dem
er von Zeit zu Zeit die Lampe wieder füllte wobei er den Scheikh
Adi laut anrief. Die Kawals standen an der Seite des Hofes an der
Wand und stimmten ein langsames Lied an, wobei einige die Flöte,
andere das Tamburin spielten und den Tact mit ihren Stimmen
begleiteten. Die Scheikhs und Häuptlinge bildeten nun paarweise
eine Procession1). An ihrer Spitzer ging Scheikh
Dschindi. Er trug eine hohe, rauche, schwarze Pelzmütze, deren
Haare weit über den obern Theil seines Gesichts herabhingen. Ein
langer Rock mit horizontal laufenden schwarz und rothen Streifen
fiel bis zu seinen Füssen hinab. Ein strengeres und zugleich
imponierenderes Gesicht als das des Scheikh Dschindi kann sich
die lebhafteste Einbildung nicht leicht vorstellen. Ein Bart,
schwarz wie Pech, wallte auf seine Brust herab; seine dunkeln
durchbohrenden Augen leuchteten durch die struppigen Augenbrauen,
wie glühende Kohlen durch die Stangen eines Feuerrostes. Die
Farbe seines Gesichts war das dunkelste Braun, seine Zähne waren
weiss wie Schnee und seine Züge, obwohl über alle Massen streng,
ausserordentlich edel und wohlgebildet. Es war ein Sprichwort bei
uns, dass man Scheikh Dschindi noch nie habe lächeln gesehen, und
man fühlte, wenn man ihn ansah, dass es ihm unmöglich war, zu
lachen. Wie er jetzt mit einem langsamen und feierlichen Schritt
einherging, und die flackernde Lampe den Schatten seines ernsten
und rauhen Antlitzes noch mehr verdunkelte, konnte man sich kein
Wesen denken, das mehr geeignet war, bei den einem bösen
Wesen geweihten Ceremonien die oberste Leitung zu führen. Er ist
der „Pîsch‑ Namaz“2) odor Vorbeter bei der Secte
der Jezidi. Hinter ihm gingen zwei ehrwürdige Scheikhs. Diesen
folgte Hussein Bey und Scheikh Nasr und diesen die übrigen
Häupter und Scheikhs. Ihre langen Gewänder waren alle glänzend
weiss. Während sie so langsam herumgingen, bald stehen
blieben, bald wieder in gemessenem Schritte sich weiter bewegten
und Gebete zu Ruhm und Ehre der Gottheit sangen, begleiteten die
Kawals den Gesang mit ihren Flöten und schlugen in einzelnen
Zwischenräumen auf die Tamburins. Um die brennende Lampe und in
dem durch die Prozession gebildeten Kreise tanzten die Fakirs in
ihren schwarzen Kleidern, mit langsamen, nach der Musik
gemessenem Schritte, wobei sie hin und wieder nach Art der
Tänzer in östlichen Ländern, die Arme emporhoben und, eben so
anständige als zierliche Stellungen annahmen. Den Hymnen
zu Ehren der Gottheit folgten andere zu Ehren des Melek Isa und
Scheikh Adi. Die Gesänge gingen in ein munteres Zeitmass über,
die Tambourins wurden häufiger gerührt die Bewegungen der Fakirs
wurden lebendiger, die Frauen erboben ein lautes Tahlil und die
Ceremonie endigte mit einer Scene voll Lärm und einer Aufregung,
wie ich bei Beschreibung meines ersten Besuches zu schildern
versucht habe. Als die Gebete beendigt waren , küssten die,
welche an der Prozession theilnahmen, im Vorübergehen die rechte
Seite der Thüre, die in den Tempel führte, wo an der Wand
das Bild einer Schlange ist; aber nicht, wie mir versichert
wurde, das Bild selbst, welches, wie mir Scheikh Nasr und Kawal
Jusuf sagten, durchaus keine Bedeutung hat. Hussein Bey stellte
sich dann auf die Schwelle dieses Eingangs und nahm die Huldigung
der Scheikhs und Aeltesten entgegen, die jeder die Hand des
jungen Häuptlings mit der ihrigen berührten und an ihre Lippen
führten. Hierauf gaben sämmtliche Anwesende einander den
Friedenskuss.
Nachdem die Ceremonien so beendigt waren, kamen Hussein Bey und
Scheikh Nasr zu mir und führten mich in den innern Hof. An der
Thempelthüre waren für mich und die beiden Häuptlinge Teppiche
ausgebreitet; die Scheikhs, Kawals und Vornehmsten der Secte
setzten sich oder kauerten vielmehr an den Wänden hin. Beim
Lichte einer Lampe, die einen düstern Schimmer im Tempel
verbreitete, konnte ich sehen, wie Scheikh Dschindi seine
Kleidung ablegte. Während der Gebete wurden Priester an die Thüre
als Wache gestellt, und Niemand, ausser einigen Frauen und
Mädchen der Eingang gestattet. Die Frauen und Töchter der
Scheikhs und Kawals hatten freien Zutritt zu dem Gebäude und
schienen an der Ceremonie theilzunehmen.
...................
Am folgenden Morgen, bald
nach Sonnenaufgang hielten die Scheikhs und Kawals im Tempel ein
kurzes Gebet, wobei jedoch keine von den Ceremonien des letzten
Abends wiederholt wurden. Einige beteten innerhalb des
Heiligthums, wobei sie oft, die Schwelle und die heiligen Stellen
in dem Gebäude küssten. Als sie geendigt hatten, nahmen
sie die grüne Decke vom Grabe des Scheikh Adi, und gingen mit
dieser um den äussern Hof herum, wobei ihnen Kawals, welche das
Tamburin oder die Flöte spielten, folgten. Die Uebrigen drängten
sich heran und führten ehrerbietig einen Zipfel der Decke
an ihre Lippen, worauf sie ein kleines Opfer an Geld hinlegten.
Nachdem hierauf die Häupter und Priester die Decke wieder über
das Grabmal geworfen hatten setzten sie sich im innern Hofe in
einen Kreis zusammen. Jetzt kamen die eigens dem Dienste des
Heilighums gewidmeten Fakirs und Scheikhs, Kotschek genannt, aus
den Küchen des Tempels, mit grossen flachen Schüsseln dampfenden
Harisa, welche sie auf den Boden stellten. Die Gesellschaft
sammelte sich in hungrigen Gruppen um die Schüsseln, und
während sie assen, riefen ihnen die dabei stehenden Kotscheks mit
lauter Stimme zu, sie möchten nur die Gastfreundschaft des
Scheikh Adi in Anspruch nehmen. Nachdem die geleerten Schüsseln
wieder weggenommen waren, wurde zum Unterhalte des Tempels und
des Grabes des Heiligen eine Collecte gesammelt. Es ist auch
Gebrauch, dass alle Familien, die zu dem jährlichen Feste kommen,
dem Scheikh Nasr irgend ein Gericht als Opfer schicken. Von
diesen Steuern kostet er bloss, um zu zeigen, dass er sie
annimmt, worauf sie von den Dienern des Heiligthums vertheilt
worden.
Diese
Ceremonien nahmen unsere Aufmerksamkeit bis gegen Mittag in
Anspruch; dann setzten wir uns bei dem Brunnen im Thale
nieder, wo Männer und Frauen vor uns tanzten, während die Knaben
auf die Bäume kletterten und sich an die Aeste hingen, um die
Tanzenden besser sehen zu können. Später wurde Zucker, Datteln
und Trauben preisgegeben, um die sich die Kinder balgten. Bald
nahmen auch die Männer an diesem Scherze theil.
.............
Abends wurden dieselben religiösen Ceremonien im Tempel
wiederholt, und ich durfte in dem Zimmer über dem innern Hofe
schlafen, von wo aus ich am Abend vorher zugesehen hatte. Nachdem
sich Alle zur Ruhe begeben, recitirte der Mullah3), in tiefem singendem Tone, eine
religiöse Geschichte oder Abhandlung, deren Inhalt die Abenteuer
und Lehren eines gewissen Mirza Mohammed bildeten. Er stand vor
der brennenden Lampe, und um ihn herum streckten sich auf dem
steinernen Pflaster, mit ihren weissen Röcken bedeckt, die
schlafenden Scheikhs und Kawals. Die Seene, war äusserst
malerisch und machte einen eigenthümlichen Eindruck.
.................
Ein Stamm der Jezidi, die
Kaidi, vollziehen folgende merkwürdige Ceremonie, die sehr alt
sein soll, und welche wir am Tage unserer Abreise von Scheikh Adi
mit ansahen. Alle welche euerwaffen besitzen, steigen auf die den
Tempel überragenden Felsen, wo sie kleine Eichenzweige in die
Mündung ihrer Flinten stecken und diese dann in die Luft
abfeuern. Fast eine halbe Stunde lang unterhalten sie ein
Lauffeuer, worauf sie in den äussern Tempelhof herabsteigen und
ihre Waffen wieder ablegen. Beim Eintritte in den innern Hof
führen sie vor Hussein Bey, der von den Priestern und Aeltesten
umgeben, an den Stufen des Heiligthums steht, einen
kriegerischen Tanz auf. Nach Beendigung des Tanzes wird
ein von den Häuptlingen geschenkter Stier aus dem Tempel
hinausgeführt. Mit lautem Geschrei stürzen sich die Kaidi auf das
Thier, ergreifen es, und führen es in Triumph zu Scheikh Mirza,
einem der Häupter der Secte, von dem sie ebenfalls ein Geschenk
erhalten, gewöhnlich ein Schaf. Während dieser Ceremonie stehen
Männer, Frauen und Kinder gruppenweise an den Seiten der
Thalschlucht, manche auf den mit Holz bewachsenen Terrassen,
andere auf hervorragenden Felsen und Rändern, während die Knaben
auf die hohen Bäume klettern, von wo aus sie die Sache besser
übersehen können. Die Frauen lassen ihr Tahlil ertönen und das
Thal hallt von dem betäubenden Lärme wieder. Die langen weissen
Gewänder, die sich unter den grünen Bäumen hin und her bewegten,
zwischen denen wieder einzelne Gruppen in bunter Kleidung sassen,
nahmen sich sehr hübsch aus und gaben der Scene ein
eigenthumliches Leben.«
(Schreibweise und Grammatik
wurden beibehalten)
_____________________________________________
1) Diese Zeremonie
wird „Sema“ genannt und ist eine für die Gläubige sehr heilige
Zeremonie, an dem nur bestimmte Würdenträger (Priester)
teilnehmen dürfen. Im Jahr werden sieben solche Zeremonien
abgehalten.
Das sind:
1. Semaya Qanunî,
2. Samaya Gavanê Zerza,
3. Samaya Bilind,
4. Samaya Şêx-Şems,
5. Samaya Şerfedîn,
6. Semaya Maka Êzî und
7. Samaya Merkeba.
2) An dieser Stelle
handelt sich vermutlich um einen Übersetzungsfehler. Die Êzîdî
haben keine „Pîsch‑ Namaz“, sondern „Peş
Îmam“.
3) Die Êzîdî haben
auch keine Priester, die „Mullah“ heißen, das muss sich um einen
Fehler handeln. Der Autor hat den Namen der moslemischen
Vorbeter gebraucht um einen Priester der Êzîdî zu erwähnen.
11. Rojîyê Şêşims
12. Rojîyê Xwedana
13. Rojîyê Êzîd. (1)
Drei Wochen hinter einander,
jeweils drei Tage, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag wird
gefastet und am Freitag gefeiert.
Rojîyê Êzîd sind für jeden
Gläubigen absolut Pflicht. Ausgenommen sind nur diejenigen, die
aus bestimmten Gründen nicht in der Lage sind, z. B. wer krank
ist, oder gerade Wehrpflicht leistet.
Das Fest muss nach ezidischer
Richtung am ersten Freitag im Dezember sein. Also, nach 13.
Dezember (Chr. Zeitrechnung) gefeiert werden. Die erstgenannten
beiden Feste werden zwar vorher gefeiert, aber ihre Zeit wird
ebenfalls nach dem Letzten festgelegt, so dass alle hinter
einander gefeiert werden.
Auch das Çêlka Fest für Pîr
Ali findet immer in der zweiten bzw. dritten und vierten Woche,
je nach der Region aus der die Gläubigen stammten, nach diesen
drei Festen statt.
14. Hîda Belinde
Das Fest wird in der
Şêxan-Region Ende Dezember Anfang Januar gefeiert.
Es gibt noch einige andere
Feste, die nicht mehr groß beachtet werden. Z. B. Zîpik,
sieben Tage (vier davon im Februar und drei im März).
Es gibt noch ein Fest, das
Seydik genannt wird und nur von den Bewohnern des Tur Abdin
gefeiert wird. Dabei werden Äste von einem bestimmten Baum, der
in dieser Region wächst und sehr angenehm riecht, verbrannt.
Dabei werden die Düfte freigesetzt und verteilen sich in den
Räumen. Das soll Segen bringen.
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