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Kapitel Vier
Die Flucht in die Diaspora
Die Flucht in eine Fremde
Welt, die einem persönlich nicht bekannt ist fällt den
Vertriebenen nicht immer leicht, aber leider auch in
Heutigerzeit, in einer Zeit in der die Menschen technisch viele
Fortschritte gemacht haben und mit großen Schritten entgegen der
Globalisierung marschieren, werden immer wieder Gründe für die
Flucht von Menschen und ganze Völkern ins Ungewisse geschaffen.
Wie man es an dem Beispiel von
Êzîdî sieht, werden Menschen wegen ihrer Andersdenken,
Andersgläubigkeit, Rasse und auch wegen der Hautfarbe, seit
tausende von Jahren systematisch verfolgt und vertrieben, bis sie
gezwungen sind, entweder aus ihre eingestammte Heimat zu fliehen
oder sie werden getötet. Wie die oben aufgeführten Gründe zeigen,
kann jeder Mensch von anderen Mitmenschen verfolgt werden, dabei
suchen die Täter Gründe und diese solange bis sie einen gefunden
haben und wenn keine Gründe existieren, dann werden sie erfunden,
aber häufig müssen nichtmall neue erfunden werden. Wie die
Vergangenheit gezeigt hat, werden selbst uralte Differenzen, die
jeden bekannt sind und auch jahrhundertlang toleriert wurden
urplötzlich als Argumente geltend gemacht und somit eine
Terrorwelle gegen eigene Mitmenschen ausgelöst. Dazu kann man nur
an die Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit denken. Man denke
an den Volkermord an den Armenier, Êzîdî und andere christliche
Gruppen in der Türkei, die in den Jahren 1915 bis 1918 ihren
grausame, blutigen und tragischen Höhepunkt fanden, und der
darauffolgende nicht mindertragische Verfolgung und Vernichtung
von Juden und anderen Völker in Europa, wie Sinti und Römer,
seitens der Nazis unter der Hitler Diktatur in Deutschland (1939
bis 1945).
Wehrend diese Beispiele
teilweise zeitlich begrenzt waren, ist es bei den Êzîdî anders.
Bei ihnen handelt es sich um eine über Jahrhunderte hinweg
andauernde Verfolgung. Gelegentlich haben auch die europäische
Reisende darüber nach der Rückkehr in Europa berichtet.
Bereits, bevor die Êzîdî
selber nach Europa immigrierten, waren sie den Europäern
wenigstens namentlich bekannt, spätestens durch die Romane von
Karl May (“Durchs wilde Kurdistan“ und “Die Wüste“ etc.) Auch
durch die Reiseberichte mancher Missionare, Archäologen bzw.
Abenteuerreisender waren sie bekannt geworden. Beispielsweise
Austen Henry Layard: („Babylon und Niniveh“ und “Auf der Suche
nach Ninive“;
Carsten Niebuhr: Entdeckungen
im Orient 1761- 1767 etc.).
Die Flucht
Wenn ein Tier sich bedroht
fühlt rennt und versucht, in dem Moment, gleichzeitig ein
Versteck zu finden. Sobald es eine geeignete Stelle findet stürzt
sich darein ohne zu ahnen, was sie dort erwartet. Ob es sich in
eine vielleicht größere Gefahr stürzt oder auch nicht
interessiert es in dem Moment nicht. Wenn sich darin ein anderer
Feind aufhält oder nicht fällt ihr in dem Moment nicht ein. Wenn
das Versteck leer ist, dann hat es vielleicht Glück und wenn
nicht, dann Pech gehabt.
Bei den Menschen ist es im
Prinzip nicht anders. Es gibt nur einen Unterschied zwischen
Mensch und Tier. Wehrend das Tier erst flieht und dann nach einem
Versteck sucht, kennen die Menschen gewöhnlich ihre
Verstecksmöglichkeiten und laufen zielstrebig darauf zu mit der
Hoffnung, dass die Feinde ihnen nicht folgen werden. Diese
Verstecke können entweder Berghohlen sein, die in den
umliegenden Wäldern um ihr Wohngebiet liegen oder befinden sich
diese am Haus in dem sie leben. Über die Lage und Beschaffenheit
von diesen Verstecken wissen bzw. wüssten möglichst nur die
Verfolgten Bescheid.
So war es seit Jahrhunderten
auch bei den Êzîdî nicht anders.
Dazu auch Karl May (Die Wüste)
»Hier kommt man durch den Wald nach
Scheikh Adi, aber nur ein Jasidi kennt den Weg. Und hier links
geht es in das Tal hinunter. «
Er schob die Büsche auseinander.
Nun sah ich vor mir einen weiten Talkessel, dessen Wände steil
anstiegen und zum Auf- und Niedersteigen nur die eine Stelle
boten, an der wir uns befanden. Wir kletterten hinab, die Pferde
am Zügel führend. Unten konnte ich das Tal in seiner ganzen
Breite überschauen. Es war groß genug, um mehreren Tausend
Menschen eine Zuflucht zu bieten. Verschiedene Höhlenöffnungen
ließen vermuten, daß hier vor nicht langer Zeit schon Leute
gewohnt hatten. Die Sohle des Talkessels war mit einer kräftigen
Grasnarbe überzogen. Einige in den Boden gegrabene Löcher
enthielten Trinkwasser genug für viele durstige Kehlen.
Wir ließen die Pferde weiden und
legten uns ins Gras.
»Das ist ein
Versteck, wie die Natur es nicht praktischer anlegen konnte!«
Sagte ich zu Seleks Sohn.
»Es hat
diesem Zweck auch schon gedient, Effendi. Bei der letzten
Verfolgung der Jesidi haben über tausend Menschen hier
Sicherheit gefunden. Darum wird kein Angehöriger unsers
Glaubens diesen Ort verraten. Man weiß ja nicht. Ob man ihn
wieder brauchen wird.«
»Das scheint jetzt der Fall zu
sein.«
In der Tat es gab Wege und
Verstecke in den kurdischen Bergen, in denen sich die Êzîdî beim
Bedarf versteckten und diese nur ihnen bekannt waren.
Was ist aber, wenn diese
Verstecke nicht mehr sicher sind? Wohin werden Menschen gehen und
wo werden sie sich vor ihren Verfolgern verstecken?
Die Gründe können hierfür
vielfältig sein, zum Beispiel:
1.
Die
altbewährten Verstecke haben nicht mehr genügend Platz für alle
Flüchtlinge.
2.
Die
Verstecke sind mittlerweile auch den Feinden (Verfolger) bekannt.
3.
Die
Verstecke sind nicht mehr sicher, weil ihre Feinde sie mit Hilfe
neue und moderne Waffen auch aus der Luft angreifen kann und
dabei auch Giftgas einsetzen. Wie es gegen die Kurden im Irak
bereits der Fall gewesen ist. – Man denke hierbei an die kleine
Kurden-Stadt Halabja, im Nordirak. Diese kleine Stadt wurde am
16./17. März 1988 von irakischen Regime aus der Luft mit Giftgas
bombardiert, dabei wurden mehr als 5000 Menschen getötet
In solchen Fällen bleiben den
Menschen nichts anderes außer der Wahl zwischen dem Tod und der
Fluch, was ihre Heimat für immer verlassen bedeutet. Das ein
gesunder Menschenverstand die letzte Möglichkeit vorziehen wird
ist keine besondere Begründung schuldig. Wenn der Mensch die
Möglichkeit dazu hat, wird er sich einen sicheren Flüchttort
suchen. Dabei wird er sicherlich nicht den bestmöglichen Ort
unter vielen auswählen können.
Vor solch einer Situation
haben auch die Êzîdî spätestens seit 70er Jahren gestanden. Man
kann möglicherweise die erste Êzîdî, die die Gelegenheit nutzten,
die sich durch anwerben von Gastarbeitern aus der Türkei anbot,
um auf diese weise nach Deutschland zu kommen, im engeren Sinne
als Vorboten bezeichnen, die auf der Suche nach einem geeigneten
Fluchtort für alle Verwandten waren.
Die Ersten Êzîdî sind, wie
bereits erwähnt, in den 60er Jahren nicht als Flüchtlinge,
sondern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Wenige Jahre
später kamen bereits auch die ersten ezidische Flüchtlinge nach
Deutschland. Diese waren zunächst alle einzelnen (männliche)
Personen, die entweder ihre Familie zurückgelassen hatten oder
auch noch ledig waren. Sie sind, fast alle, wieder abgeschoben
worden. Bis 1984 waren bis auf wenige alle anderen wieder
zurückgeschickt worden. Die abgeschobenen Êzîdî waren ihrerseits
auch nicht mehr an einen zweiten Versuch interessiert, aber bald
mussten sie feststellen, dass sie sich irrten, weil ihnen keine
bessere Altarnative übrig blieb.
Im August 1984 brach der
Burgerkrieg zwischen den Kurden und der türkischen Militärregime
aus. Dieser Krieg dauert noch an und hat bis jetzt auf beiden
Seiten mindestens 30000 Menschenleben gefordert, ca. viertausend
Dörfer sind zerstört worden und mehrere Millionen Menschen,
kurdischer Herkunft in die Flucht getrieben. Also, die Êzîdî
sahen sich in einer Klemme und sie wären auf jedem Fall als
Verlierer hervorgegangen, wenn sie bald nicht flüchten würden.
Aber wohin?
Die Êzîdî befanden sich
sprichwörtlich zwischen zwei Fronten. Sie könnten sich unmöglich
neutral verhalten. Wenn sie sich für die kurdische Seite
entschieden hätten, dann wären sie für die türkischen Soldaten,
die für ihre Grausamkeiten gegen die Zivilisten eine traurige
Berühmtheit genießen, vogelfrei. Und wenn sie sich für die
türkische Seite entschieden hätten, dann wären sie als
„ungläubige Verräter“ erklärt und die PKK geht mit solchen
„Verrätern“ nicht weniger brutal und erbarmungslos um, als ihre
Gegner, die Türken.
Viel Zeit um einen geeigneten
Fluchtort zu suchen blieb ihnen nicht übrig. Die Jüngeren würden
von dem türkischen Staat zur Musterung berufen und die Kurden
warben, auf ihrer Art, um Krieger gegen den „Feind“. Also, diese
Jüngeren müssten bald verschwinden, fliehen. Die Älteren sind,
trotzt die immergroßer werdende Gefahr, zurückgeblieben, um
möglichst gewährleisten zu können, dass im Falle einer erneuten
Abschiebung die Jüngeren wieder in ihre Dörfer zurückkehren
können. Die Flüchtlinge erkannten Europa als der sichere
Fluchtort und sie flüchteten deshalb in dieser Richtung. Ihr
größter Wunsch war es ungeschadet wieder dorthin zu gelangen. Da
Deutschland aus den erstgenannten Gründen ihnen am bekanntesten
war, sind auch die meisten nach Deutschland gekommen. Sie waren
sich darüber im Klaren, dass Deutschland sie nicht mit öffne
Armen aufnehmen wird, - schließlich hatten manche von ihnen
bereits eine Abschiebung hinter sich gehabt- Aber eine bessere
Alternative war ihnen nicht bekannt.
In der Tat fing für sie ein
Kampf zwischen langsam mahlenden Bürokratiemühlen und
nervenzereisende Duldsamkeiten. Während die deutsche Regierung
eine schwierige Entscheidung zwischen menschliche Prinzipien, die
sie sich wegen eigener tragischen Vergangenheit verpflichtet sah
Verfolgten Schutz zubieten, und der Freundschaft mit der Türkei,
die auch seit Jahrhunderte ihre Partnerin in militärischen
Interessen war und noch ist, treffen müsste, müssten auch die
Betroffenen geduldig warten. Ihnen blieb auch in dieser Zeit
außer den Weg zwischen Haus - Behörde und Haus - Anwalt, keine
andere Freiheit. Ihnen war es auch strengstens untersag/ verboten
zu arbeiten. Ihnen war auch verboten ohne eine Genehmigung von
der Behörde ihr Wohngebiet zu verlassen, auch wenn dies zu einem
Kurzbesuch bei Verwandten diente, die in anderen Städten in
Deutschland lebten.
Deutschland hatte sich auf
Grund ihrer jüngsten Vergangenheit und zwar wegen der Verbrechen,
die das Nazi-Regime in den Jahren 1939 bis 1945 (2.Weltkrieg)
begangen hatte, verpflichtet allen politisch Verfolgten Asyl zu
gewähren. (Art. 16 Abs. 2 des GG). Für die Êzîdî traf dies zu,
aber sie kamen aus einem befreundeten Land und diese Freundschaft
wollte man nicht auf die Probe stellen.
Wehrend die Bundesrepublik
Deutschland sich, aus welchen Gründen auch immer, auf einen
zeitintensiven Antragsbearbeitung eingestellt hatte, wurde die
Lage für die Êzîdî, die noch in der Heimat waren immer
bedrohlicher. Hier einige Beispiele:
·
Am 09.
Dezember 1989 ist das Dorf Denwan gegen Abenddämmerung von
mehreren mit Maschinengewehren bewaffneten Personen heimgesucht
worden. Sie haben das Dorf mehrere Stunden unter Beschuss
gehalten. Dabei haben sie zwei Männer, Xellîl Kurt (über 60 Jahre
alt) und Silo Çiftçi (etwa 35 Jahre alt) getötet und eine Frau,
die Menife Çakar heißt (etwa 35 Jahre alt) schwer/
lebensgefährlich verwundet. Zunächst wurden einige kurdische
Nomaden beschuldigt und festgenommen und mit ihnen auch einige
Kalaschnikows, die man zunächst als Mordwaffen hielt. Aber die
Ballistik hat bewiesen, dass die am Tatort gefundenen 40
Patronenhülsen nicht zu den beschlagnahmten Waffen gehörten. Der
Ehemann von Menife, der ebenfalls unter Beschuss genommen wurde
und die Täter dabei auch gesehen hat, sagte später, dass die
Täter, der Bekleidung nach, Özeltims waren (Spezialtim, die auch
in Deutschland GSG9 ausgebildet werden um gegen die Terroristen,
in diesem Falle offiziell gegen PKK, zu kämpfen). Von den Tätern
hat man bis heute keine Spür.
Einer von dem
Opfer, Silo Çiftçi war einer von denen, die in den 70er Jahren in
die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet waren und aufgrund der
Ablehnung seines Asylantrags wieder in die Türkei zurück musste.
Nach diesem schrecklichen
Massaker haben die übrigen eiligst ihre Besitztümer vertrödelt
und sich auf dem Fluchtweg gemacht.
Mehrere Familien sind am 23.
März 1990 mit dem Bus von Midyat Richtung Istanbul gefahren um
von dort aus weiter nach Europa zu flüchten. Der Bus hat in der
Nähe von Adana eines ihren Rastpausen gemacht. Als die Passagiere
in einem Restaurant etwas essen wollten ist einer von den
Flüchtlingen, Namens Cemil Onal von einem anderen Mitfahrer, den
sie nicht kannten erschossen worden.
Cemil war ebenfalls einst beim
ersten Versuch in Deutschland mit seinem Asylantrag gescheitert
und wurde abgeschoben. Er hat sich von dem Geld, das er von
Deutschelan mitnehmen konnte einen Dolmuş (Kleinbus) gekauft und
transportierte die Dorfbewohner in die Stadt damit diese ihre
Einkäufe tätigen können und er war auch der Notdienstfahrer, wenn
jemand dringen zum Arzt musste.
Bis heute keine Spur von dem
Täter und auch das Motiv für seine Verbrechen ist nicht bekannt.
Man weiß nur, dass er aus Midyat mit ins Bus gestiegen ist und
wahrscheinlich auch deswegen, um ihn zu töten.
·
Im Mai
1991 kam die zweite schreckliche Nachricht. Und zwar die von
einem 14 jähriger Junge, Namens Rustem Kurt, der bei seinen
Tieren in der nähe der Pipeline, wo die Soldaten regelmäßig
patrouillieren, war, und seit dem Spurlos verschwunden ist. Bis
zum Heutigen Tag haben seine Verwandte keine Spur von ihm.
Sein Vater, der mit seiner
Frau und ein Teil der Familie als Letzten aus ihrem Dorf noch in
Midyat lebten, wurde am 06. August 1994 in Midyat verhaftet und
nach Mardin Gebracht, wo sie seine Verhaftung zunächst verleugnet
haben, höchstwahrscheinlich, weil sie ihn umbringen wollten, aber
erst auf unnachgiebiger Nachfrage der Amnesty international, von
Europa aus, gaben sie zu ihn verhaftet zu haben, worauf er später
gegen eine hohe Geldsumme freigelassen wurde. Wir könnten ihn und
seine restliche Familie dank der beispielslosen Unterstutzung von
der Gesellschaft für bedrohte Völker, Herr und Frau Wießner und
mit freundlicher Unterstützung der deutschen Botschafter in
Ankara nach Deutschland retten. Seine Verletzungen, die er bei
den Misshandlungen im Gefängnis erlitten hatte, wurden erst hier
von deutschen Ärzten behandelt.
·
Am 12.
Oktober 1992 ist dasselbe Dorf wieder von Bewaffneten heimgesucht
worden. Diesmal haben die Täter ihren Opfer, Felit Çeker in
seinem Haus gestellt und kaltblutig, vor den Augen seiner noch
minderjährigen Tochter und ihre Mutter niedergeschossen. Diesmal
haben sich die Mörder selber mit einem an anderen Verwandten des
Opfers gerichteten Drohbrief gemeldet und bekanten sich zu der
Mordtat. Die Täter waren diesmal PKK-Kämpfer. Wenige Wochen
später wurde der Cousin von dem Getöteten zur Militärstation in
Midyat bestellt. Da er nicht wusste weshalb der
Stationskommandant mit ihm sprechen wollte ging er auch
unbekümmert und begleitet von dem Muğtar (Dorfbürgermeister)
dorthin. Er ist vor den Augen des Muğtars verhaftet worden und
nach Mardin gebracht. Am 02.12.1992 wurde er ermordet in der Nähe
von Omerli (kurd. Êfşêya Ditax), zwischen Midyat und Mardin,
gefunden. Aufgrund der Autopsie erhärteten sich die Vermutungen,
dass er im Gefängnis umgebracht/ zu Tode gefoltert wurde. Auch er
ein in den 80er Jahren aus BRD. ausgewiesener Êzîdî.
·
Am 13.
Januar 1993 wurden zwei Kleinbusse, die die Êzîdî und Christen
aus den umliegenden Dörfern in die Stadt brachten, damit diese
für sich und ihren Familien das Lebensnötige kaufen können, auf
dem Rückfahrt von paramilitärischen Einheiten der türkischen
Regierung überfallen. Ohne Vorwarnung haben sie mit ihren
Maschinengewehren das Feuer auf die Passagiere eröffnet. Dabei
wurden fünf Christen und zwei Êzîdî getötet und zehn Menschen
schwer verletzt. Unter den Toten waren auch zwei Christen, die
seit 25 Jahren in Deutschland, Augsburg lebten. Sie wollten ihre
Verwandten in Tur Abdin besuchen.
Das sind die Namen der
Getöteten:
- Aziz Kalayci und Yusuf
Özbakir aus Augsburg, seit 25 Jahren lebten beide in Deutschland.
- Aydin Aydin aus Xerabê Alê
(türk.: Üçyol)
- Isa Koç aus Nihil/ Anhil
(türk.: Yemişli)
- Gewriye Durmaz aus Mizîzex
(türk.: Doğançay)
- Halil Dede, Miho und Nuriye
Kayar aus Xerabya (türk.: Yenice)
Diese Anschläge auf
unschuldige Menschen haben kurzeitig die Medien und auch die
deutsche Bundesregierung erregt.
·
Im
August 1995 haben die von den Türkei bezahlten und bewaffneten
Dorfschützer Hawinê und Hiseynê Girbîyanî den Dorfbürgermeister
von Mezrê, Reşit yildiz von zu Hause, mit der Begründung der
Kommandant möchte ihn sehen, abgeholt, er kam nie wieder zurück.
Auch seine Leiche hat man bis dato nicht gefunden.
Bericht:
Laliş Nr.: 2 (Oktober 1995)
· Am
24 August wurde Ali Ağirman aus Bacin von den türkischen Soldaten
verhaftet. Am 26. August hat man seine Leiche zusammen mit der
einer verstümmelten Leiche eines anderen Unbekannten in einer
Höhle zwischen Bacin und Kerşafê gefunden. Die Leichen waren von
Bomben zerfetzt gewesen.
Bericht:
Laşiş Nr.: 2 (Oktober 1995)
Fremd auf der
Erde
·
»Bilbilik ji çîyayê kurdistanê girtin û ew kirin rekehek zêrîn û
birin Şamê. Ew li wedê di nava Bexçeyekî biheştî de danîn û piştî
demekê ji wî pirsîn:
»Bilbilo Şam xweşa anjî welatê
te li Çîyayê Kurdistanê?«
Wî got: »Şam şekira lê Warê
Bav û Kala he ji wê şêrintira.«
Wan carek din rahişt Bilbil û
ew anîn cihê wî ê berê û ew carikdin berdan nava Çiyaye wî.«
Übersetzung:
·
Man
hat einen Kleiber aus kurdischen Bergen in einen goldenen Käfig
eingesperrt und nach Damaskus gebracht. Dort hat man ihn, samt
Käfig, in einem paradiesischen Garten gestellt. Nach einigen
Tagen hat man ihn gefragt: »Was ist schöner, der Paradies-Garten
in Damaskus, in der du jetzt lebst oder deine alte Heimat in den
kurdischen Bergen?«
»Damaskus ist süß wie Zucker,
aber die Heimat der Vorfahren ist noch süßer.« Antwortete der
Kleiber.
Sie haben ihn wieder zu der
Stelle gebracht, von wo er fortgeschleppt wurde und ließen ihn
dort in seine Bergwälder wieder frei.
Als ich noch ein Kind war
erzählte mir meine Mutter diese kleine Geschichte immer wieder,
aber ich kannte ihre wahren Absichten nicht. Ich war noch nie in
einem Fremden Land und wusste auch nicht was mir bevorsteht und
zwar die Flucht in die Ferne.
Aber die Êzîdî befinden sich
weder in einen goldenen Käfig, der in einem paradiesischen Garten
hängt noch können sie auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat
hoffen.
Wenn manche von ihnen bis
jetzt zurückgekehrt sind, dann war das nach dem Ableben und
anstelle eines goldenen Käfigs in einer Holzkiste.
Das Land in dem man geboren
ist und eigene wahren Wurzeln hat durch die Flucht verlassen zu
müssen ist unbeschreiblich und unvergleichlich schmerzhaft. Es
ist sehr schwer diesen Schmerz zu zeigen, weil nur derjenige
einem verstehen kann, der selber das gleiche erfahren habe.
Dieser Schmerz frist einem von
innen auf. Kein Arzt ist in der Lage die Schmerzen zu
lokalisieren und richtig diagnostizieren und kein Medikament, das
heute käuflich zu erwerben ist, kann diese Schmerzen lindern.
Dieser Schmerz ist immer da, auch im Schlaf und in den Träumen.
Keine Freude kann die
verkümmerten Herzen wieder erfreuen.
Auch den Tod von jedem
Verwandten und Freunden kann man vergessen, weil der Tod etwas
natürliches ist, aber die Erinnerungen an die verlorene Heimat
bleiben ewig im Herzen, im Gehirn und in der Seele gespeichert.
Das liegt nicht daran, dass man nach der Flucht keine schöneren
Orte auf der Erde findet, an dem man auch besser leben kann. Nein
das liegt daran, dass man seine Heimat verlassen müsste, weil die
Anderen es so wollten.
Ein weiterer Grund könnte auch
die ewige Angst vor dem sein, dass man auch in der neuen Heimat
nicht akzeptiert wird, ewig ein Fremder, ein Eindringling ist und
vielleicht auch hier gezwungen wird wegzugehen.
Die verlassene Heimat kann
ruhig den Ruf als eine öde, gottverlassene Ortschaft und eine
lebensfeindliche Wüste haben, aber wenn man daraus vertrieben
wird, dann wird auch kein Paradies sie in dem Herzen von dem
Vertriebnen ersetzen können.
Das ist leider eine traurige
Selbsterfahrung von mir, und das wünsche ich keinem anderen
Menschen auf dieser Welt.
Schlimmer konnte es nicht kommen?
»Wek Nokê tu li kewirekîxe her
yekî ji me bi Welatekî da çû û em ji hev belabun.«
Wie Kichererbsen, die man
gegen einen Felsen schlägt, sind wir in alle Länder der Welt
zerstreut worden.
So beschreiben die Êzîdî ihre
Flucht selber.
Die weltfremden Êzîdî, die bis
dahin in dörflichen Gemeinschaften gelebt haben und außer den
Männern, die beim Militär waren, so gut wie keinen Kontakt mit
Außenwelt hatten, waren von heute auf Morgen in alle Staaten und
Städten der Welt zerstreut. Sie leben heute in fast allen
europäischen Ländern: in Deutschland, Niederlande, Belgien,
Norwegen, Schweden, Finnland, Frankreich, Italien u. s. w..
Darüber hinaus in Amerika, in Australien, in alle
Ursprungsländer, in denen sie immer gelebt haben, wobei in der
Türkei ihre Zahl auf weniger als Tausend Leute geschrumpft ist.
Ihre Zahl ist in Deutschland mittlerweile auf mehrere Zehntausend
gestiegen. Hier leben sie verteilt in mehrere Bundesländer und
Großstädten: in NRW hauptsächlich in Ostwestwestfalen Lippe, in
Bremen, in Niedersachsen: Hannover und Umgebung, in Oldenburg und
in Emsland, im Saarland, in Rheinlandpfalz: bei Speyer, in
Ludwigshaffen, in Mannheim, in Gießen in Göttingen und Umgebung
u. s. w.. Diese Menschen mussten nun „freiwillig“ vor einem
Richter antreten und ihm in einer Sprache, die er nicht versteht,
erzählen, warum sie gefluchtet sind und das möglichst so
glaubhaft, dass er ihnen glaubt. Sie mussten ihre Flüchtgründe
einem Dritten (Dolmetscher) erzählen, der wiederum dem Richter
weitererzählt. Dies scheint ganz einfach zu sein. Nun wollen wir
erfahren wie einfach oder schwierig das ganze in der Wahrheit war
und noch ist.
Die meisten von den
Dolmetschern waren Moslems und manche von ihnen auch Kinder von
Axas. Sie waren den Êzîdî bekannt und deshalb war es ihnen,
psychisch, unmöglich ohne Angst auszusagen, dass sie vor Moslems
und Axas gefluchtet sind. Ich mochte nicht, dass der Eindruck
entsteht, die Dolmetscher hätten ihre Arbeit schlecht gemacht und
die Aussagen der Flüchtlinge absichtlich falsch übersetzt, wenn
diese den Ruf ihrer Verwandten beschmutzt haben, aber es ist auch
verständlich, wenn die Menschen, die sich auf der Flucht
befinden und nicht wissen, wo sie später leben müssen/ dürfen und
können, sehr beängstigt sind und nicht alles, was ihnen später in
noch mehr Schwierigkeiten bringen konnte, erzählen wollen und
können. Für die Frauen war es unmöglich vor einem fremden Mann,
auch wenn dieser ein Richter ist und schon gar nicht, wenn ein
Moslem (Dolmetscher) zugegen ist, zu erzählen, warum sie Angst
vor Moslems hatte und deshalb flüchten musste. Nur wenige hatten
soviel Mut und erzählten manchmal auch was sie selber erlebt
haben. Das ganze wurde auch dadurch erschwert, dass sie sich mit
den Gesetzen ihrer Gastländer nicht auskannten. Das einzige, was
sie bis dahin von dem Gesetzgeber erfahren hatten, war Folter und
Misshandlungen. Wie sollte man Angesicht dieser Tatsache einen
Richter trauen?
Ihnen quellten einigen Fragen,
diese Fragen brachten die Flüchtlinge in Gewissenskonflikten.
· Was
werden unsere Feinde mit uns anstellen, wenn wir abgeschoben
werden?
· Werden
die türkischen Behörden es erfahren, was wir über ihnen z. B. den
deutschen Richtern erzählen?
· Bringen wir unsere verwandten, die sich noch in der Heimat
befinden durch unsere Aussagen in noch größeren Gefahren?
Diese Fragen und viele andere
Gefahren waren weitere Grunde für die Sorgen, die niemand ihnen
abnehmen könnte. Diese Sorgen und Ängste setzten die Betroffene
unter einen unvergleichlichen Stress, die sie nicht ohne
gesundheitliche Schäden verkrafteten. Dieser seelische Stress
verursachte bei vielen gesundheitlichen Schäden, die nie wieder
kuriert werden konnten. Auch heute leiden viele von ihnen, auch
im jungen Alter (ab 25) an chronische Schmerzen, wie: Kopf-,
Nacken- und Muskelnschmerzen. Immer mehr ältere leiden unter
Schlaganfällen und sterben an Herzproblemen. Auch
Krebserkrankungen nehmen bei ihnen zusehend zu.
Die Asylanträge mussten durch
drei Instanzen gehen:
· Erstens das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge.
· Zweitens das Verwaltungsgericht
· Drittens das Oberverwaltungsgericht.
Bis das der Fall war, hatten
alle genug Zeit eine Lösung zufinden, die für alle
zufriedenstellend war. Die erste Instanz hat zunächst, ihre
Pflicht tuend, die Asylanträge der Êzîdî zwar anerkannt, aber
gleichzeitig dem Bundesbeauftragten die Möglichkeit eingeräumt
dagegen Wiederspruch erheben zu dürfen. Dadurch blieben nur
einige wenige Anträge ohne Wiederspruch, wehrend gegen alle
anderen der Wiederspruch erhoben worden ist. Die Mehrheit von
denen die Hoffnung gemacht wurde, mussten noch geduldig warten.
Die Anträge mussten von dem Verwaltungsgericht entschieden
werden. Hier wurde zunächst zwischen diejenigen, die ihren
Wehrdienst in der Türkei geleistet haben und die übrigen, die
diese noch nicht geleistet haben unterschieden. Die
Wehrpflichtigen wurden anerkannt und die übrigen abgelehnt und
ihnen wurde gleichzeitig mit der Abschiebung gedroht. Auch gegen
die anerkannten Anträge hat der Bundesbeauftragte mit der
Begründung, dass die Êzîdî “in den Großstädten der West-Türkei
eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht“,
Wiederspruch gelegt.
Wie das ganze ablief, wollen
wir von einem Fachmann, einem Anwalt erfahren.
»
Analysen
Werner Deckmann
Gibt es noch ein Recht auf Asyl
in der Bundesrepublik?
Der Fall der yezidischen
Flüchtlinge aus Türkisch- Kurdistan
Yezidi kamen hauptsächlich nach
Niedersachsen in den Umkreis der Stadt Celle, nach
Nordrhein-Westfalen in die Gegend von Emmerich, in das Saarland
und vereinzelt nach Baden- Württemberg, nachdem sie in der Türkei
gehört hatten, daß hier schon Yezidi in Ruhe und Frieden ohne
Furcht vor Mißhandlungen, Morden, Entführungen ihrer Frauen und
Landraub durch Muslime lebten. Die Familien verkauften zum Teil
alles, was sie hatten (Vieh, Schmuck der Frauen - deren einzige
Alterssicherung), um die Schmiergelder für den Paß und die
Flugkarte bezahlen zu können. So kamen zunächst die Männer hier
an, arbeiteten fleißig - auch heute bei erzwungener Untätigkeit
durch scharfe Asylgesetze noch bei ihren Chefs beliebt, wie deren
Nachfragen zeigen -sparten Geld, damit sie auch ihre Frauen und
Kinder in die Sicherheit nachholen konnten. Yezidische Frauen und
Mädchen sind nämlich Freiwild für Muslime, wie zahllose
Vergewaltigungen und Entführungen auch heute noch zeigen. Weil
die Männer wußten, daß bei ihren Familien in der Türkei nur noch
die alten und gebrechlichen Eltern lebten, hatten sie hier
ständige Angst um ihre Familien und holten sie so bald als
möglich nach. Oft genug waren auch Polizisten und Soldaten zu
Hause erschienen und versuchten, mit Drohungen und teilweise mit
Schlägen den Aufenthalt der Männer herauszufinden.
Hier wurden die Asylanträge
vom zuständigen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge in Zirndorf bei Nürnberg durchweg abgelehnt. Einige
wenige, meines Wissens nicht mehr als zehn, wurden zwar
anerkannt, waren aber als Ausrutscher anzusehen und wurden auch
nicht rechtskräftig, weil der Bundesbeauftragte der
Bundesregierung sofort Einspruch erhoben hatte. Das Bundesamt
lehnte Hunderte von Bescheiden ab. Zum Teil waren die Yezidi
gehört worden - manche noch nicht einmal in ihrer kurdischen
Muttersprache, obwohl ich als Rechtsanwalt darauf hingewiesen
hatte, daß sie keine Schule besucht hatten und deshalb weder
lesen noch schreiben konnten -, andere wurden trotzdem abgelehnt,
weil man sich dort auf als unabhängig angesehene Auskünfte des
Auswärtigen Amtes stützte, das seit Jahren behauptet, in der
Türkei werde kein Yezidi verfolgt und wenn, könne er Schutz bei
den Behörden suchen. Teilweise stützte das Bundesamt seine
Ablehnungen auf eine Auskunft, die nichts mit Yezidi zu tun
hatte; später räumte das Auswärtige Amt ein, kaum Informationen
über die yezidische Minderheit zu haben, erklärte aber dennoch
munter weiter, Yezidi würden nicht verfolgt. Ein Vorgang, der
seine Erklärung wohl nur in der außenpolitischen Rücksichtnahme
auf den empfindlichen NATO-Partner Türkei findet. Meine Mandanten
erzählten mir aus ihrem Leben in der Türkei ganz anderes, was ich
auch ans Bundesamt weitergab. Das änderte jedoch nichts, weil
dort die Ablehnung der Yezidi wohl unabänderlich feststand, man
sie mit den damals zu Tausenden herkommenden türkischen
Asylsuchenden verwechselte, die man für Wirtschaftsflüchtlinge
hielt und deshalb zu nahezu hundert Prozent ablehnte und weil man
sonst wohl seine Programme in den Schreibautomaten hätte ändern
müssen. So erhielt ich für von mir vertretene Yezidi Bescheide
aus Schreibautomaten die bis auf Name, Adresse, Aktenzeichen und
Tag der Antragstellung Wort für Wort identisch waren und nicht
auf die unterschiedlichen Schicksale der Yezidi eingingen. Das
konnte ich inzwischen auch im Verfahren eines Yezidi nachweisen:
Sein Antrag war nämlich mit der stereotypen Begründung abgelehnt
worden, er sei nicht zur Anhörung ins Bundesamt gefahren und habe
damit sein Desinteresse an einer Anerkennung gezeigt und zeige
damit, daß er selber keine Verfolgung fürchte. Als ich nachwies,
daß er doch im Bundesamt gewesen war, fand ich später in der Akte
den Vermerk des Sachbearbeiters, daß mein Vorwurf richtig sei und
man für den ablehnenden Bescheid im Schreibautomaten
versehentlich ein falsches Programm -das mit der Begründung
"Desinteresse" (das heißt, nicht zur Anhörung gekommen)
-verwendet habe. Als dies herauskam, blieb es bei dem ablehnenden
Bescheid, nur die Begründung wurde ausgetauscht. Es war jetzt
wieder ein Automatenbescheid ergangen, allerdings mit der
Behauptung, Yezidi würden in der Türkei nicht verfolgt. Hier wird
Schindluder mit der Verfolgung dieser Minderheit getrieben.
Diese Schreibautomatenantwort auf Bitten von verfolgten Menschen
ist weder mit dem verfassungsrechtlichen noch mit dem
geschichtlichen Hintergrund des Asylgrundrechts in Artikel 16,
Absatz 2 des Grundgesetzes zu vereinbaren. Nur wenige Jahrzehnte
nach der Verfolgung der jüdischen Minderheit ist dies eine
Verhöhnung aller Verfolgten.
Erstmals aufgehoben wurden diese
Mißstände in Niedersachsen durch das Verwaltungsgericht Stade.
Dessen 4. Kammer erkannte am 1. September 1982 erstmals einen
Yezidi an, nachdem es vorher auch alle Yezidi abgelehnt hatte.
Offenbar durch beharrlich zusammengetragenes Material entschloß
man sich dann, die Verfolgung der Yezidi genauer zu überprüfen
und dazu - erstmals für ein Asylgericht im Bundesgebiet - selber
Zeugen und Sachverständige zu hören. Das war wohl so
eindrucksvoll, daß das Gericht abrupt seine Rechtsprechung
änderte und Yezidi anerkannte. Andere Verwaltungsgerichte in
Niedersachsen erkennen inzwischen auch an, so die
Verwaltungsgerichte Osnabrück, Braunschweig und seit kurzem auch
Oldenburg. Damit dürften hier in über 130 Urteilen 300 bis 400
Yezidi, einschließlich ihrer Kinder, anerkannt worden sein.
Dann geschah etwas Einmaliges:
Die Rechtsprechung der inzwischen zusätzlich eingerichteten 5.
Kammer des Verwaltungsgerichts Stade, die von nun an alleine für
Yezidi zuständig war, erregte beim Ordnungsamt der Stadt Celle
große Aufregung, weil weiter Yezidi anerkannt wurden. Dies schlug
in Empörung um, als diese Richter vom Januar 1983 an noch nicht
einmal mehr die Berufung gegen ihre Urteile zuließen. Auf
massiven Druck von der Stadt Celle, die in meinen Verfahren nie
von ihrem Recht Gebrauch gemacht hatte, in der
Gerichtsverhandlung durch sachdienliche Fragen an klagende
Yezidi, Zeugen und Sachverständige die nach ihrer Auffassung
nicht gegebene Verfolgung der Yezidi nachzuweisen (das Bundesamt
war in meinen Verhandlungen in Stade sowieso nie erschienen),
forderte der zuständige Minister des Landes die Akten vom Gericht
an, und es wurde die Frage gestellt, ob andere Anhaltspunkte für
diese (anerkennende) Rechtsprechung ersichtlich wären, die sich
nicht aus den Akten ergäben.
Die Akten ergaben
selbstverständlich nicht das Gesuchte. Das Verwaltungsgericht
Stade hatte sich als erstes Gericht auf Zeugenaussagen,
schriftliche Materialien und mündlich erläuterte Gutachten, etwa
des einzigen theologischen Lehrstuhls (an der Universität
Göttingen), der sich mit dieser religiösen Minderheit befast,
gestützt und sich zuletzt in einem 60 Seiten umfassendem Urteil")
- ich habe bislang in Asylverfahren kein anderes Urteil dieses
Umfangs gesehen - bis ins einzelne mit der Verfolgung der Yezidi
und den Einschätzungen dazu auseinandergesetzt. Ihm waren und
sind inzwischen andere Gerichte mit gleicher Begründung gefolgt.
Nachdem die Akten nichts
hergaben, geschahen, zeitlich zusammenfallend, erstaunliche
Dinge: Der noch im Herbst 1982 vom Landtag wegen der großen
Belastung mit Asylverfahren erbetenen 5. Kammer des
Verwaltungsgerichts Stade wurden in der Änderung des
Geschäftsverteilungsplans vom März 1983 alle Asylverfahren
weggenommen und wieder alleine der 4. Kammer aufgehalst. Dies,
obwohl sich die 5. Kammer gerade erst in das Asylrecht als ein
sehr spezielles Recht, das ohne eingehende Kenntnisse der Lage in
den Heimatländern der Flüchtlinge nicht bewältigt werden kann,
eingearbeitet hatte. Sie ist fortan wieder nur für
Lastenausgleich, Baurecht und ähnliche Gebiete zuständig. Der
Niedersächsische Landtag beschäftigt sich heute noch mit diesem
Vorgang, den ich für den Versuch halte, Richtern Akten
wegzunehmen, weil sie nicht in der gewünschten Richtung Urteile
fällen.
Seitdem kommt die alleingelassene
4. Kammer des Gerichts kaum nach. Sie ist nämlich wieder für alle
Asylverfahren alleine zuständig; Verfahren von Yezidi soll es
deshalb erst wieder im Sommer 1984 nach eineinhalbjähriger Pause
geben.
Als
letzte Gerichte in Niedersachsen erkennen das Verwaltungsgericht
Hannover und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nach wie vor
Yezidi nicht an. Diese Rechtsprechung ist schwer zu erklären. Die
zuständige 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover räumt ein,
daß in der Türkei Yezidi von Muslimen verfolgt werden, will dies
aber nicht dem türkischen Staat anlasten. Dem vermag ich
angesichts der massiven Verfolgung der Yezidi nicht zu folgen.
Ich hatte diese Verfolgung mit Beweisanträgen nachgewiesen, so
zum Beispiel, daß Vergewaltigungen und Entführungen von Yezidi
aus dem Dorf eines Klägers durch Muslime unter den Augen der
militärisch organisierten Polizei der Türkei (der Jandarmas)
erfolgten, weil dort nämlich seit Jahrzehnten eine
Jandarmastation, Karakol, bestand und die Jandarmas dennoch nicht
eingriffen. Das muß sich der türkische Staat zurechnen lassen,
weil er die Opfer nicht schützt und die Straftäter nicht
verfolgt. Alle diese Beweisanträge wurden mit unterschiedlicher
Begründung abgelehnt. Während dieser juristische Streit
weitergeht, wird für die im Landkreis Hannover lebenden Yezidi
das Leben gefährlicher. Wie sich beim gewaltsamen Ausfliegen der
yezidischen Frau Tokul und ihrer Kinder zeigte, werden, koste es,
was es wolle, Rechtspositionen durchgesetzt - ohne Rücksicht
darauf, was diesen Menschen zustoßen kann - was anderswo, zum
Beispiel für den Innenminister des Nachbarlandes
Nordrhein-Westfalen, Schnoor, Anlaß für den Abschiebestop für
Yezidi ist.
Der Landkreis Hannover kann sich
durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg
bestätigt sehen und wie bisher weitermachen. So hat das
Oberverwaltungsgericht noch nie einen Yezidi anerkannt und vor
kurzem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover, das
die Verschleppung der Frau Tokul und ihrer Kinder deutlich als
rechtswidrig bezeichnet hatte, aufgehoben mit der Begründung,
nach der Rückkehr des (am Boden zerstörten) Ehemanns und Vaters
zu seiner Familie in die Türkei habe sie kein Recht auf Schutz
-juristisch: kein Rechtsschutzbedürfnis -mehr; in meinen Augen
ein Freibrief für Ausländerbehörden, künftig Ausländer zügig
außer Landes zu schaffen, so daß diese Praxis dann nicht mehr vor
Gericht überprüft zu werden braucht. Es bleibt für die noch hier
lebenden Yezidi die Angst vor dem Oberverwaltungsgericht
Lüneburg, das bisher keinen einzigen Yezidi anerkannt hat und
sich auch weigert, selber Zeugen und Sachverständige zur
Verfolgung der Yezidi in der Türkei zu hören. Es nimmt auch die
schon zahlenmäßig überwältigende anerkennende Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichte Stade, Osnabrück, Oldenburg, Braunschweig,
Ansbach, Saarlouis und der Oberverwaltungsgerichte Münster und
Saarlouis und des Verwaltungsgerichtshofes Kassel offenbar nicht
zur Kenntnis. Das deckt sich auch mit dem Eindruck, den in
Niedersachsen mit Asylrecht beschäftigte Juristen vom
zuständigen 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg haben.
Von dort kommt seit Jahren eine außerordentlich konservative
Rechtsprechung, die die Grundeinstellung vermuten läßt, daß
jeder Ausländer als Eindringling angesehen wird, den es
abzuwehren gilt. Es fehlt auch jede öffentliche
Auseinandersetzung mit entgegenstehender Rechtsprechung und
Literatur; Veröffentlichungen des Senats in Fachzeitschriften
habe ich nicht gefunden. Insoweit wird in Niedersachsen die
fachliche Diskussion über Ausländer- und Asylrecht am
zuständigen Senat, der als Obergericht Leitideen entwickeln und
die Fachdiskussion beeinflussen könnte, vorbeigeführt. Sogar die
Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts Berlin fehlt. Dies hatte nämlich schon
in zwei Urteilen vom 2. August 1983 Christen aus der Türkei
anerkannt, weil ihnen wegen der Verfolgung in der Heimat nicht
die sogenannte Fluchtalternative, das heißt, Ausweichen in die
Großstädte der Westtürkei zugemutet werden kann. Davon aber war
das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seiner ersten
Grundsatzentscheidung zu Yezidi ausgegangen und hatte eine
Fluchtalternative für Yezidi im Westen der Türkei angenommen.
Dies geschieht alles, obwohl Tatsachen und Beweismittel dagegen
stehen: Die Göttinger Yezidi-Sachverständigen hatten schon 1982
vor dem Verwaltungsgericht Stade nachgewiesen, daß die Yezidi in
der Rangfolge der türkischen Gesellschaft unter Türken,
Muslimen, Kurden und Christen an unterster Stelle stehen, so daß
der Schluß aus den oben genannten Urteilen des
Bundesverwaltungsgerichts wohl zwingend ist, daß, wenn Christen
wegen fehlender Fluchtalternativen anerkannt werden, dies erst
recht für die noch stärker verfolgten Yezidi gelten muß. Die
Yezidi-Sachverständigen hielten es auch für völlig
ausgeschlossen, daß ein Yezidi in westlichen Großstädten der
Türkei leben und arbeiten könne, vom fehlenden Zusammenhalt der
Religionsgemeinschaft ganz abgesehen. Einer dieser Forscher
lebte selbst jahrelang mit seiner Familie in Istanbul und traf
dort keinen Yezidi und kann dies wohl am besten beurteilen. Auch
dies änderte nichts an der Meinung der Richter des
Oberverwaltungsgerichts-Senates.
Versuche, auf die Meinungsbildung
mit dem prozessualen Mittel des Beweisantrages Einfluß zu
nehmen, indem Entführungen und Vergewaltigungen der Frauen,
Schikanen und Mißhandlungen der Männer beim Militärdienst,
verweigerter staatlicher Schutz gegen Übergriffe von Muslimen
durch Zeugen bewiesen werden konnte, scheiterten an ihrer
konsequenten Ablehnung durch das Oberverwaltungsgericht. Dabei
wurde zum Beispiel der Antrag eines Yezidi abgelehnt, eine in der
Türkei lebende und zur Aussage bereite Verwandte zu Entführungen
von Yezidi zu hören, weil - so die Begründung in der Verhandlung
- diese Zeugin sich mit dieser Aussage der Bestrafung in der
Türkei aussetzen würde, was erst recht Grund zur Anerkennung des
Yezidi gewesen wäre. Das wurde offenbar später beim Schreiben des
Urteils bemerkt, so daß diese Ablehnung dann in dem schriftlichen
Urteil nicht mehr auftauchten.
Einer der Richter soll vor anderen
Richtern, als er vom ersten anerkennenden Urteil des
Verwaltungsgerichts Stade erfuhr, gefragt haben, ob sie wohl noch
ganz bei Sinnen wären, dann könnte man ja alle anerkennen.
Darauf angesprochen, wich er aus. Als der Anwalt nachfassen
wollte, ob er diese Äußerung ausschließen könne, wurde dies mit
einer formalen Begründung verhindert. Als es ein zweiter Anwalt
später noch einmal versuchen wollte und die etwa zehn
Berufsrichter, die diesen Satz gehört haben mußten, als Zeugen
angab, wurde auch dies abgewehrt mit der Begründung, der Anwalt
hätte diese Richter zur Verhandlung mitbringen müssen. Der
betreffende Richter wirkt noch heute bei Entscheidungen über
Yezidi mit und hält sich natürlich nicht für befangen.
Letztlich griff das
Oberverwaltungsgericht zu einem Mittel, einen Antrag abzuwehren,
das einen verzweifeln lassen kann. Als ein Anwalt sich zum
Nachweis der Verfolgung von Yezidi beim türkischen Militär auf
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 6. Dezember
1983 bezog und das Aktenzeichen des Oberverwaltungsgerichts
Münster angab, wurde auch dies abgelehnt, weil die aktenführende
Stelle, das heißt also auch noch das erstinstanzliche Gericht
nicht angegeben worden war. Das ist jedoch nur ein Vorwand, weil
es Oberverwaltungsgerichts-Richtern keine Probleme bereiten
dürfte, sich dieses Urteil zu verschaffen. Solche Einzelheiten
lassen sich zahlreich schildern. Sie charakterisieren das Klima,
in dem wir die Interessen unserer yezidischen Mandanten
wahrnehmen müssen. Um zuverstehen, weshalb die Yezidi hierher
geflohen sind, gebe ich wieder, was mir meine Mandanten berichtet
haben: Die Yezidi wurden als Mitglieder einer alten Religion
schon von jeher in der Türkei als " ........" verfolgt. Sie
fanden dagegen weder unter den früheren Zivilregierungen wie
unter Ecevit oder Demirel, noch unter der Militärjunta, die im
September 1980 vorgeblich gegen Mord und Gewalt putschte, Schutz
vor den Übergriffen der Muslime. Auch die neue Zivilregierung
unter Özal will und kann daran ebenfalls nichts ändern, weil sie
von den Militärs abhängt, andere, wirtschaftliche Probleme hat
und nicht weiß, ob sie morgen noch regiert. Das mußten im
Frühjahr 1984 der Gesundheits- und der Justizminister
feststellen, als sie das berüchtigte Militärgefängnis in
Kurdistan, das von Diyarbakir, kontrollieren wollten und von
Militärs nicht hereingelassen wurden.
Yezidi stoßen in der Türkei auf
eine übermächtige Zahl von Muslimen, die sich durch die von der
aus dem Iran ausgehenden Re-Islamisierungswelle stärker denn je
fühlen. Wenn Yezidi im öffentlichen Leben mit Behörden, Ämtern,
Polizei, Gerichten und mit Händlern, Fabrikanten und
Großgrundbesitzern zu tun haben, stoßen sie nur auf Muslime. Es
mag zwar einige wohlhabendere Yezidi mit Land geben; aber unter
den Beamten, Lehrern, Richtern, Polizisten, Parlamentariern und
Senatoren gibt es - wie im gesamten öffentlichen Bereich der
Türkei - keinen einzigen Yezidi. Und das spüren die Yezidi
dauernd.
Die Mehrzahl meiner yezidischen
Mandanten konnten in der Türkei keine Schule besuchen, weil es in
ihren Dörfern keine gab, oder wenn es eine gab, sie Angst hatten,
die Kinder durch das Gebiet der Muslimen zu schicken, weil sie
nicht wollten, daß sie dort und in der Schule von den islamischen
Mitschülern und Lehrern drangsaliert und geschlagen werden.
Trotz des Anspruchs auf Schulbildung in der Verfassung verweigert
der türkische Staat Kurden und Yezidi eine solche Schulbildung,
weil er entweder überhaupt keine Schulen bauen ließ oder nicht
einen von Übergriffen der Muslimen freien Schulbesuch
ermöglichte. Diese Lage ist vergleichbar mit der der schwarzen
Bürger in den Südstaaten der USA, wo es auch langer
Auseinandersetzungen und Gerichtsurteile bedurfte, bis diese
ihre Rechte wahrnehmen konnten. Die Verhältnisse in der Türkei
sind für die Yezidi noch heute so schlimm und werden durch den
Anstieg der Analphabeten von 49% im Westen auf 72% im von Kurden
und Yezidi bewohnten Osten der Türkei belegt.1)
Die Yezidi sprechen daher
überwiegend nur kurdisch und nicht das offizielle türkisch. Der
Staat hat durch den verweigerten Unterricht die fehlenden
Türkischkenntnisse verursacht und sich damit einen weiteren
Grund für die Verfolgung dieser nur kurdisch sprechenden
Minderheiten geschaffen. Kurdisch sprechende Menschen werden
nämlich bei Ämtern, Behörden, Gerichten und beim Militär
ständigen Repressalien ausgesetzt:
Beim Militär wird nur Türkisch
gesprochen. Wer die Befehle der Vorgesetzten in Türkisch nicht
versteht, wird solange geschlagen, bis er das kann. Das trifft
auch Kurden, die keine Yezidi, sondern Mulime sind. Wird dann
aber offenbar, daß er ein Yezidi ist, wird er noch ärger
geschlagen, geschunden und zum schlechtesten Dienst eingeteilt.
Beschmieren mit der tabuisierten blauen Farbe, mit dem verbotenen
Wort "......." (.......), Zwang zum Besuch einer Moschee und
sogar Zwangsbeschneidungen waren und sind auch heute noch gang
und gäbe, wie Yezidi einem deutschen Besucher über ihre Leiden
beim Militär im letzten Jahr noch erzählen mußten.
Diese Schikanen und Verfolgungen
der kurdisch sprechenden Menschen in der Türkei sind auch keine
willkürlichen Übergriffe einzelner Soldaten, Polizisten oder
Beamter des Staates, sie geschehen mit Wissen und Billigung des
türkischen Staates. Seit Jahren zitiere ich Artikel 89 des
Parteiengesetzes vom 13. Juli 1965, in dem es heißt:
„Politische Parteien dürfen nicht
behaupten, daß auf dem Territorium der Türkischen Republik
Minderheiten existieren, die auf ethnischen, politischen oder
sprachlichen Unterschieden beruhen.
Politischen Parteien ist nicht
gestattet, die Unterminierung der nationalen Einheit zu
begünstigen und beizutragen zur Entstehung von Minderheiten auf
dem Territorium der Türkischen Republik durch Schutz,
Unterstützung und Verbreitung von Sprachen und Kultur, die
nicht-türkische Sprachen und Kultur sind." 2)
Auch die Militärs. die ihren Putsch
mit dem Willen, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen,
rechtfertigen, griffen das Verbot der kurdischen Sprache wieder
auf und bekräftigten es durch eine Runderlaß der
Kriegsrechtkommandatur der Bezirke Diyarbakir, Hakari, Mardin,
Siirt, Urfa und Van vom 16. Juli 1982 und setzten die
Unterdrückung und das Verleugnen der kurdischen Minderheit fort.
Die kurdische Sprache und Kultur
werden in der Türkei verfolgt; wer sich dafür einsetzt oder nur
dessen verdächtigt wird oder allein die Existenz der Millionen
Menschen umfassenden kurdischen Minderheit und ihrer Sprache und
Kultur nicht leugnet, wird in Prozessen unbarmherzig verfolgt und
ist schon vorher monatelang von der Polizei und dem Militär
gefoltert worden. Sogar der frühere Minister Seraffetin Elci
mußte eine längere Freiheitsstrafe absitzen, weil er in einem
Interview die Existenz der Kurden nicht verleugnet, sondern mit
den Worten "ich bin selber Kurde" offen bestätigt hatte.
Kurdische Sänger dürfen nicht auftreten, ihre Musikkassetten
werden beschlagnahmt. Angesichts der vielen Kurden, die nicht
lesen und schreiben können und für die daher zum Erhalt ihrer
kollektiven Identität kurdische Sänger äußerst wichtig sind, ist
die kulturelle Unterdrückung der kurdisch sprechenden Menschen
der Türkei offenkundig. Viele dieser Sänger sind deshalb selber
verfolgt worden und mußten ins Ausland fliehen. Zu ihnen gehören
die Sänger Sivan, der inzwischen vom Bundesamt anerkannt wurde
und Rencber, der inzwischen vom Verwaltungsgericht Hannover
ebenfalls anerkannt wurde.
Daß sich die Lage der
kurdischsprechenden und yezidischen Menschen in der Türkei weder
unter der Militär- noch der von ihr abhängigen Zivilregierung
gebessert hat, ist offenkundig. Denn die Staatsgewalt in der
Türkei ist in deren abgelegenen Gebieten von jeher durch das
Militär, sei es durch reguläre Truppen, sei es durch die
Jandarmas, ausgeübt worden. Wenn der türkische Staat die
Minderheiten hätte schützen wollen, wäre das schon damals möglich
gewesen. Wenn Yezidi und Kurden nämlich über Schikanen und
Mißhandlungen berichteten, war das Militär daran beteiligt. Es
hätte also schon damals diese Minderheiten schützen können.
Das Gegenteil ist der Fall.
Militär, Beamte, Richter, Polizei und Großgrundbesitzer
arrangieren sich bei der Verfolgung und Ausbeutung der
Minderheiten. Anzeigen von Yezidi gegen muslimische Räuber,
Frauenschänder und Entführer und Mörder werden entweder nicht
entgegengenommen oder aber nicht ernsthaft bearbeitet.
Stattdessen trinkt man gemeinsam Tee, wie vom Sachverständigen
Dr. Berner dem Verwaltungsgericht Stade anschaulich berichtet.
Der Yezidi-Emir Mü "äwija berichtete den Richtern auch, wie er
1982 vergeblich die türkischen Behörden um Hilfe für ein
entführtes Yezidi-Mädchen und für ihres Landes beraubte Yezidi
gebeten hatte. Jeder Kulturstaat, der den Anspruch auf
Gerechtigkeit und Menschenwürde erhebt, geht gegen Verbrecher
vor, die Menschen und Land rauben. Daß dies nicht geschieht,
belegt die Verfolgung der Yezidi.
Jürgen Roth berichtet über diese
Zusammenarbeit der etablierten Muslime und erwähnt eine
Dokumentation von Anwälten des Bezirks Diyarbakir, nach der die
Großgrundbesitzer, Agas, in 95 % aller Gerichtsverfahren ihre
Landansprüche durchsetzen konnten. 3) Die Einschätzung der
Yezidi, es habe keinen Zweck, seine Ansprüche einzuklagen, ist
demnach richtig. Der türkische Staat unternimmt keine Anstalten,
die Rechte der Minderheit zu sichern.
Auch Arbeitssuche in anderen Teilen
der Türkei ist spätestens dann vergeblich, wenn die yezidische
Religion bekannt wird. Bei dem Zurschaustellen der islamischen
Religion wird der Yezidi bald entdeckt. Meistens werden sie dann
gefeuert, ohne daß sie ihren Lohn erhalten. Auch hier greift die
Polizei nicht ein.
Militär, Polizei und Verwaltung
greifen auch nicht ein, wenn Muslime Yezidi verfolgen, indem sie
yezidische Frauen und Mädchen entführen und vergewaltigen und
den fadenscheinigen Grund anführen, diese zum wahren islamischen
Glauben bekehren zu wollen. Obwohl dies nach der yezidischen
Religion eine der schlimmsten Sünden darstellt und eine derart
mißhandelte Frau von ihrer Familie und ihrem Dorf nicht mehr
aufgenommen werden darf -dies also letztlich zur Ausrottung der
Yezidi wegen des Verbots der Heirat außerhalb der eigenen Gruppe
führt - und von den Muslimen auch bewußt dafür eingesetzt wird,
werden Yezidi vom Staat nicht geschützt. So gibt es kaum eine
Familie, aus der nicht ein Mädchen oder eine Frau entführt worden
ist. In einer Gerichtsverhandlung vor dem Verwaltungsgericht
Hannover hat mir ein Yezidi eine Liste aufgestellt, auf der
vierzehn Frauen und Mädchen aus Verwandtschaft und Umgebung
bisher entführt worden sind, ohne daß die Polizei geholfen hätte
und die Entführten zurückgekommen wären.
Die Hoffnungen sind für die
yezidische wie die anderen Minderheiten in der Türkei schlecht.
Ursache dafür ist der fanatische Nationalismus, den der deutsche
Reiseleiter Ralph Braun zu spüren bekommen hatte, als er seiner
Reisegruppe den Völkermord an den Armeniern in der Türkei nicht
verschwiegen hatte und deshalb eineinhalb Jahre in Haft war. Dort
mußte er nicht nur selber Schläge hinnehmen und verfolgen, wie
Gefangene gefoltert wurden, sondern sogar erleben, daß Frauen und
Kinder gesuchter Kurden verhaftet und zum Teil mehrere Jahre
festgehalten wurden. Gleiches widerfuhr Michael Stokkamp und
Volker Waidler, die wegen der Verteilung von christlicher
Literatur und Kassetten in kurdischer Sprache und wegen
Verteilung von Propagandaschriften verhaftet wurden und heute in
Elazig ihr Gerichtsverfahren erwarten.
Yezidi droht bei ihrer Ablehnung
als "Asylanten" und ihrer Abschiebung in die Türkei Verhaftung
und Verurteilung, weil sie sich durch die Behauptungen im
Asylantrag, in der Türkei verfolgt zu werden und keinen Schutz
gefunden zu haben, strafbar gemacht haben.
Das Asylverfahren in der
Bundesrepublik ist den türkischen Behörden auch bekannt. Die
Weitergabe von Einzelheiten aus dem Asylverfahren an die Türkei
kann nicht ausgeschlossen werden. Im Bundesamt kommen die
Geheimdienste - hier vornehm in den Akten mit Vorprüfungsgruppe
A und B bezeichnet - ohne weiteres an die Unterlagen. Diese
Vermerke finden sich in den meisten Akten. Die Zusammenarbeit
mit den befreundeten Geheimdiensten der NATO " also auch der
Türkei, ist gang und gäbe und folgt aus der Bündnisverpflichtung
im NATO- Vertrag und auch dem Selbstverständnis der beteiligten
Behörden.
Die türkische Regierung kann das
Asylbegehren am seit Jahren nicht mehr verlängerten Reisepaß
feststellen, weil er nach Paragraph 26 des
Asylverfahrensgesetzes beim Ausländeramt hinterlegt werden muß
und darum nicht verlängert werden kann. Im Übrigen
verfügen die hiesigen türkischen Konsulate über hervorragende
Informationsquellen, was gezielte Fragen an meine Mandanten nach
ihren Asylverfahren belegen.
Rückkehrenden Yezidi droht jedoch
Verhaftung, Folter und Bestrafung: Reisende haben in der Türkei
Verhaftungen von zurückkehrenden Asylsuchenden, darunter Yezidi
beobachtet oder davon durch Berichte der Angehörigen erfahren.
Auch dem Auswärtigen Amt muß die Verhaftung von zurückgekehrten
Asylflüchtlingen bekannt sein. Dazu gehört ein Mandant von mir,
der wegen seines Asylantrages und der darin gesehenen
Verunglimpfung zu einer Strafe von fünf Jahren verurteilt wurde.
Inzwischen hat ein Yezidi erzählen können, wie es ihm in der
Türkei nach seinem ersten Asylantrag erging. Er wurde im Februar
1983 nach rechtskräftig abgelehntem Asylantrag in die Türkei
abgeschoben, dort wie üblich von den deutschen Behörden
angekündigt und wie üblich, sofort verhaftet. Im zweiten
Polizeirevier Istanbuls wurde er geschlagen, gefoltert und aus
einem Fenster eines oberen Stockwerks gehalten. Inzwischen
gelang ihm die Flucht zurück in die Bundesrepublik.
Heute bestätigt der türkische Staat
sogar selbst die Diskriminierung der Yezidi. So teilte das
Kreisstandesamt des Landratsamtes Cinar (über das Konsulat
Hannover) mit, daß der Antrag eines hier lebenden Yezidi auf
Ausstellung der Papiere abgelehnt und der Betreffende zur
Regelung dieser Angelegenheit angehalten werde, weil diese
yezidische Religion offiziell nicht mehr anerkannt und nicht
mehr eingetragen werde.
Alle
diese Einzelheiten sind im Laufe der Jahre zusammengetragen und
den Gerichten vorgelegt worden. Fast alle haben daraufhin Yezidi
anerkannt. Dazu gehören die Verwaltungsgerichte Saarlouis,
Osnabrück, Braunschweig, Oldenburg, Ansbach, Düsseldorf und Stade
sowie die Oberverwaltungsgerichte Saarlouis und Münster und der
Verwaltungsgerichtshof Kassel - die der Obergerichte inzwischen
alle rechtskräftig. Es müßte auch möglich sein, die übrigen
Gerichte zu überzeugen.
«
Werner
Deckmann ist Rechtsanwalt in Hannover
Die Kirchchenvertreter und
Menschenrechtler haben sich beispielhaft im Angesicht diese
falsch begründeten und akut bedrohliche Abschiebungsgefahren, die
nicht weiter als „aus den Augen aus den Sinnen“ war, formiert und
dagegen, zum Teil mit den Betroffenen und auch ohne sie, massiv
protestiert.
Hierbei war es dem
unermüdlichen und beispiellosen Engagement einiger Menschen aus
verschiedener Berufskreisen, wie: Pastoren, Anwälten,
Sozialarbeiter, Akademiker, Politiker etc. zu verdanken, dass den
Êzîdî doch noch ein Bleiberecht zugesichert wurde.
Mit der Unterstützung von der
Gesellschaft für bedrohte Volker in Göttingen und
Kirchenvertretern haben die Êzîdî mehrere Male gegen ihre
Abschiebung und für ein Bleiberecht in verschiedenen Orten
Deutschlands demonstriert. 18. Mai 1984 in Bergen Belsen. Wie das
unten aufgeführtes Schreiben von Christel Schuran (MdL, Die
Grünen) zeigt, ist diese Demonstration nicht so gelaufen, wie
die Beteiligten es sich vorgestellt haben. Diese Demonstration
die gegen einen Justizirrtum gerichtet war, wurde seitens der
Landesregierung mit unmöglichsten Methoden und sehr fragwürdigen
Argumenten behindert.
»
Christel
Schuran (MdL, Die Grünen)
Kleine Anfrage zur mündlichen
Begründung
(20. Mai 1984)
Der Niedersächsische Landtag
Behinderung einer Demonstration der
Gesellschaft für bedrohte Völker am 18. Mai 1984
Der Verein der Yezidi in
Deutschland und die Gesellschaft für bedrohte Völker riefen unter
dem Motto "Verfolgte flüchten nach Bergen-Belsen, einem Ort der
Verfolgung Kundgebung gegen die drohende Abschiebung yezidischer
Kurden in die Türkei" für den 18. Mai 1984 zu einer Demonstration
von der Stadt Bergen bis zum Gelände des ehemaligen
Konzentrationslagers Bergen-Belsen mit einer abschließenden
Kundgebung auf. Auf Anweisung des niedersächsischen
Innenministers untersagte der Landkreis Celle die Kundgebung. Das
Verwaltungsgericht Stade, Kammer Lüneburg, gab dem Widerspruch
gegen dieses Verbot statt, woraufhin die Bezirksregierung
Lüneburg erneut ein Verbot aussprach. Über den Widerspruch
dagegen verhandelte das Gericht noch, während sich der
Demonstrationszug in Richtung Gedenkstätte bewegte. In Absprache
mit der Polizei und der Bezirksregierung sollte mit der
Kundgebung auf eine Waldschneise ausgewichen werden. Unterwegs
wurde der Demonstrationszug von Vertretern des Landkreises Celle
gestoppt, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung des
Verbots vorlegten und jedes Weitergehen untersagten. Nach einiger
Zeit des Wartens wurde das Gerichtsurteil bekannt: die
Demonstration und die Kundgebung auf dem Parkplatz des Geländes
der Gedenkstätte wurden genehmigt. In der Anordnung der
sofortigen Vollziehung des Landkreises Celle vom 18. Mai 1984
wurden als Gründe dafür angeführt:
"Zudem besteht die Gefahr, daß das
Land Niedersachsen dadurch beschimpft wird (§ 9Oa
I StGB), daß die angebliche
Verfolgung der Yezidi durch das Land gleichgesetzt wird mit der
Verfolgung der Opfer der NS-Herrschaft.
Weiterhin liegt auch darin eine
herabsetzende Verharmlosung der Leiden des jüdischen Volkes im
Dritten Reich."
Ich frage die Landesregierung:
1. Worin bestand für die
Landesregierung die angeführte "herabsetzende Verharmlosung" bei
der Kundgebung, wo neben yezidischen Vertretern ein jüdischer
Philosoph und eine Vertreterin der Sinti und Roma sprachen,
Vertreter von Minderheiten, die zu den Opfern der NS-Herrschaft
gehören?
2. Hält die Landesregierung
die als Grund in der Anordnung angeführte Befürchtung, es
bestünde die "Gefahr, daß das Land Niedersachsen beschimpft
wird", die Angst, vor einer deutlichen Kritik der
Ausländerpolitik der Landesregierung, für einen vertretbaren
Grund, um eine Kundgebung zu verbieten?
3. Ist die Landesregierung der
Auffassung, daß ihr Verhalten bei dieser
Veranstaltung mit dem Grundrecht
auf Meinungsfreiheit sowohl für die betroffenen Asylbewerber als
auch für die Vertreter der verfolgten Minderheiten im Dritten
Reich vereinbar ist, oder was bewertet sie höher als dieses
Grundrecht?«
Umso friedlicher und erfolgreicher
ist eine zweite Großdemo der Êzîdî in der Landeshauptstadt von
Nordrhein Westfalen (Düsseldorf) verlaufen. Hierbei gewannen die
Êzîdî das Mitleid von dem Innenminister dieses Bundeslandes Herrn
Dr. Herbert Schnoor für ihr Leiden.
Diesen Katz- und Mausspiel
brachte erst ein Besuch der Innenminister von Nordrhein
Westfalen, Dr. Herbert Schnoor in den Wohnsiedlungen der Êzîdî in
der Türkei ein Ende. Um “genauere Einsicht in die tatsächlichen
Verhältnisse zu bekommen“ besuchte er, mit Begleitung und ohne
Ankündigung, vom 1. bis 7. Mai 1989 die Siedlungsgebiete der
Êzîdî und 23. bis 25. Mai 1989 reiste er nach Istanbul, ebenfalls
mit Begleitung, um es selber zu erfahren ob tatsächlich „mehrere
Tausend“ Êzîdî in dieser größten Stadt der Türkei leben und um es
zu prüfen, ob sie wie vom Auswärtigem Amt in einem Bericht über
die Lage von Êzîdî in der Türkei behauptet wurde, ungehindert und
ohne Schwierigkeiten arbeiten und auch höhere Bildungsschulen
besuchen konnten. Parallel dazu besuchte eine andere Gruppe,
kirchlicher Vertreter, mit der Unterstutzung von der Gesellschaft
für bedrohte Volker in Göttingen ihrerseits die Siedlungen der
Êzîdî in der Osttürkei. Beide Seiten sind einstimmig zu der
Überzeugung gekommen, dass die verfolgten Êzîdî in der Türkei
weder in den Großstädten noch auf dem Lande sicher sind und vor
Verfolgung Schutz finden könnten. Deshalb hat der Minister gleich
nach seiner Rückkehr nach Deutschland in einem Schreiben an das
Innenministerium seine Empfehlung, die Êzîdî als
Gruppenverfolgte anzuerkennen, geäußert.
Auch der Bericht von dem
Auswärtigem Amt musste berichtigt werden, weil man nicht einen
einzigen Êzîdî benennen konnte, der ein unbeschwertes Leben in
Istanbul führte geschweige dort auch dauerhaft leben könnte.
·
„ISTANBUL ENDE MAI“
»Gespräch im Generalkonsulat.
Minister Schnoor ist in die Türkei zurückgekehrt, um seine
Recherchen zu vertiefen. Er ist diesmal in Begleitung seiner Frau
und des Ehepaars Wiesner in Istanbul. Konfrontiert mit der
Aussage des Auswärtigen Amtes, es seien 40.000 Yezidi in
Istanbul, die in guten Verhältnissen lebten, beruft sich
Generalkonsul Müller-Chorus auf einen türkischen Schriftsteller
als Informanten. Nach langem Drängen habe dieser ihm jedoch nur
einen einzigen Yezidi vorgestellt, der zum einen nicht in
Istanbul ansässig war, zum anderen seine Angaben ausdrücklich
bestritten habe. In dem Gespräch wird deutlich, daß der
Generalkonsul alle bisherigen Erklärungen über Yezidi in Istanbul
nicht mehr aufrecht erhält.«
Zitiert nach einem Bericht aus
der Zeitschrift „Pogrom“ Nr. 150, Sept. 89, Herausgeber ist die
Gesellschaft für bedrohte Volker in Göttingen.
Mit diesen selbst gewonnenen
Erkenntnissen war es für Innenminister Schnoor außer jeder Frage,
dass die Êzîdî eine neue Heimat unbedingt nötig haben. Denn ihre
Lage in der angestammten Heimat, die sie bereits zum größten teil
verlassen haben, war für sie nicht mehr erträglich gewesen. Er
hatte nun die Gewissheit, dass die Êzîdî keine, sogenannte
„Wirtschaftsflüchtlinge“ waren und sind, sondern ihre Heimat aus
Angst und wegen nicht endender Verfolgung verlassen mussten. Er
musste trotzt dieser Erkenntnis noch seine Amtskollegen und auch
die Politiker auf der Bundesebene von seine Erkenntnissen
überzeugen. Auf der Innenministerkonferenz 1989 ist er mit seinem
Vorschlag, bundesweit ein Bleiberecht für Êzîdî durchzusetzen
gescheitert. Vor allem hat sich Bayern „als Hauptbremser“
hervorgetan. In NRW ist die Entscheidung über das Bleiberecht
immer wieder, mit der Begründung „man wolle verhindern, dass eine
innerstaatliche Flucht stattfindet“, verschoben worden. Mit
seinem Erlass vom 25. Februar 1990 hat er endlich den
langersehnten Durchbruch erzielt und ein Bleiberecht für alle
Êzîdî und Christen, die bis 31. Dezember 1989 aus der Türkei in
die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind zugesichert.
Nun war es zu klären in
welchem Pass bzw. Ausweis sie dieses Bleiberecht bekommen
sollten. Alle, die Anspruch auf Bleiberecht hatten wurden
aufgefordert in den türkischen Konsulaten zu gehen und selber
ihre bereits abgelaufenen türkischen Pässe zu verlängern. Das war
eine Zumutung und die Êzîdî wollten aus berechtigten Ängsten
nicht mehr mit dem türkischen Staat in Kontakt kommen. Viele von
ihnen haben das in einem Schreiben an die Ausländerbehorden, die
für sie zuständig waren und von dem sie die Aufforderung bekommen
hatten noch einmal zum Ausdruck gebracht.
„Es ist mir als Yezide
unzumutbar, mir diese Aufenthalterlaubnis in den türkischen
Nationalpaß stempeln zu lassen bzw. das türkische Konsulat
aufzusuchen, um dort meinen Nationalpaß zu verlängern.“ heißt es in einem Brief, das an das
Am für Bürgerberatung Ausländerabteilung Bielefeld gerichtet ist.
Schließlich haben sie
vorübergehend bis 31. Dezember 1990 einen Fremdenpass bekommen.
Danach ging der Kampf um den Art der Aufenthaltserlaubnis weiter.
Nach und nach haben auch diejenige, deren Anträge auf Asyl zuvor
rechtskräftig abgelehnt wurden und jetzt mit einer Duldung
lebten, einen zweiten Asylantrag gestellt um ihre jetzt gewonnene
Chance auf eine Anerkennung zu nutzen. Sie sind nach nochmaliger
Prüfung rechtskräftig anerkannt worden und haben jetzt das Recht
einen deutschen Pass (Reiseausweis) zu beantragen, das alle zwei
Jahre verlängert wird. Nach und nach sind auch die anderen
Bundesländer dem Beispiel von NRW gefolgt und gaben fast alle
Êzîdî die Aufenthaltserlaubnis. Wobei ihnen diese Entscheidung
auch von dem Bundesverfassungsgericht in Koblenz in einer
Grundsatzentscheidung leichter gemacht worden ist.
Viele Êzîdî haben mittlerweile
die deutsche Saatsangehörigkeit angenommen, damit sind sie dem
Gesetze nach deutsche Staatsburger, mit allen Pflichten und
Rechte.
Aber der Kampf um ein
Bleiberecht für alle Êzîdî aus allen Herkunftsländern geht noch
immer weiter. Die Êzîdî aus der ehemaligen Sowjetunion und aus
Syrien werden abgelehnt und wieder abgeschoben.
Die Êzîdî und die kurdische Frage in Deutschland
Zunächst will ich ein Tabu
brechen und auch das Problem aller Kurden in Deutschland und kurz
die dadurch entstandenen Probleme, die für eine erfolgreiche
Integration von Êzîdî in Deutschland sehr hinderlich sind
erwähnen.
Ein sehr großes Problem für
die Integration von Êzîdî in Deutschland ist die Kurdenfrage, die
auch hier im Lande zu alltäglichen Kräftemessen zwischen
deutschen außenpolitischen Interessen und kurdischen Kampf gegen
die unumstrittene Verfolgung aller Kurden in ihrem Lande geworden
ist. Während die deutsche Bundesregierung schon immer einen Grund
suchte, um die Kurden auch in ihrem Lande zum Schweigen zu
bringen, um so die Freundschaft beider Länder, zwischen
Deutschland und der Türkei, nicht zu gefährden, suchten die
Kurden verzweifelt nach Wege, um die Weltöffentlichkeit über ihre
wahrlich unumstritten schlimme, ja menschenunwürdige Lage in ihre
Herkunftsländer aufmerksam zu machen. Je länger dieser Prozess
andauerte und das Morden der Verwandten in den Herkunftsländern
ein grausames Ausmaß annahm, darüber hinaus auch bekannt würde,
dass diese Mordmaschinerie auch von Deutschland kräftig
unterstützt wird, wandelten die anfangs friedlichen
Demonstrationen in willkürliche Wutausbrüche. Zu dem kam auch,
dass in den 90er Jahren die türkischen Staatsbürger, in
Deutschland, das Angriffsziel aggressiver Haltung mancher
Deutschen gegen die Ausländerfeindlichkeiten, hier im Lande,
würden und dabei auch mehrere Brandanschläge auf ihre Behausungen
verübt wurden. Wobei auch Menschen getötet worden sind. Z. B.
1993 der Brandanschlag in westfälischen Solingen. Bei dem
Brandanschlag auf das von türkischen Familien bewohntes Wohnhaus
kamen fünf Personen zu Tode. Für die deutsche Regierung war es,
also höchste Zeit zu handeln. Der Krieg zwischen türkischen
Militär und der kurdischen Arbeiter Partei (kurz: PKK) war in
voller Stärke entfacht und immer mehr grausame Bilder von den,
mit deutschen Waffen getöteten Kurden, die auch hinter deutschen
Panzern gebunden durch die Wälder geschleift würden, eroberten
ihren festen Platz in die deutschen Medien. War die
Hyperreaktionen der hier lebenden Kurden eine höchst willkommene
Gelegenheit, um auch die radikalste und für das türkische Regime
gefährlichste kurdische Arbeiter-Partei (PKK) zu verbieten und
als eine terroristische Partei zu erklären. Das Verbot ist 1995
in kraft getreten. Damit galt diese Partei außer in der Türkei
nur in Deutschland als terroristisch und ist auch deshalb nur in
diesen beiden Ländern verboten. Die übrigen Kurden, die nicht der
PKK angehören, sehen auch sich durch dieses Verbot in Europa
politisch gelähmt.
Mit diesem Verbot ist in den
köpfen von den meisten Deutschen fest eingebrannt, dass alle
Kurden, die sich in irgendeiner Weise negativ über den türkischen
Staat äußern auch automatisch Anhänger der „terroristischen PKK“
sind und deshalb man von ihnen größten Abstand nehmen muss, weil
sie ebenfalls „gefährliche Terroristen“ sind. Das Verbot brachte
nicht nur für die übrigen Kurden, die zwar ebenfalls das Opfer
der türkischen Terror in Kurdistan waren und sind, aber zeit
langem friedlich in Deutschland leben und auch weiter leben
wollen Ärger mit sich, sondern auch unweigerlich für die Êzîdî.
Ich habe es bereits erwähnt, dass die Êzîdî ethnisch gesehen
Kurden sind. Fast alle Kurden sind unweigerlich, die Êzîdî mit
eingeschlossen, mit diesem Problem konfrontiert, und das
begleitet sie überall in ihrem alltäglichen Leben. Sobald jemand
als Kurde erkannt wird, sei es auf der Arbeit, im privaten Leben
selbst in den Schulen und auch auf der Suche nach einer neuen
Wohnung, wie gesagt überall, weichen die meisten Deutschen von
ihnen und versuchen auch in Zukunft einen großen Bogen um ihnen
zu machen. Auch die tausendfachen schwüren bei Gott und
Beteuerrungen, dass man nicht zur PKK gehört, helfen einem nicht
das Geringste.
Auch die deutsche Regierung
musste mittlerweile zugeben, dass die PKK durch das Verbot nicht
geschwächt, sondern dass sie im Untergrund durch mehr
anhängergewinnung eher gestärkt worden ist. Ein wichtiger Grund
dafür ist auch die bereits erwähnten Problemen, denen die übrigen
Kurden hilflos ausgesetzt sind. Wehrend die Deutschen den Kurden
ablehnend gegenüber stehen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass
sie auf dauer gesehen „unwillkommene“ „Geste“ geschweige
Mitbürger sind, verspricht die PKK ihnen genau das Gegenteil von
dem. Sie nimmt sie mit offenen Armen auf und verspricht ihnen „einen
baldigen blühenden freien Kurdistan“ in der sie alle
ungestört und frei von Verfolgungen leben werden und das Ganze
unabhängig von der Rasse und Religionszugehörigkeit. Dass diese
Worte auch bei den Êzîdî Gehör finden, ist kein Wunder. Das
bringt die Êzîdî auch auf dem Weg der Integration in mächtige
Schwierigkeiten. |
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