Kapitel Vier
Die Integration
»Heger tû herê
Welatekî kû milêtê lê bi cavêkî bin gerek tujî Cavekî xwe bigirê!«
Übersetzung:
wenn du in einem Land gehst indem einäugige Menschen leben,
dann sollst du ebenfalls ein Auge zu machen.
Die Êzîdî
sind in der Realität sehr daran interessiert in Diaspora, vor
allem in Deutschland eine dauerhafte und sichere Heimat für die
Zukunft zu finden. Dabei legen sie viel Wert darauf, dass sie
auch von ihren Gastländern aufgenommen und beschützt werden. Sie
haben in der Tat bereits erste Schritte in dieser Richtung
gewagt. Sie haben die Deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und
viele von ihnen haben auch Eigentum erworben. Sie gehen in die
Schule und lernen eifrig die Sprache, immer mehr Jugendliche
beenden ihren Schulwerdegang mit einer Berufsausbildung. Nur eins
darf niemand von ihnen verlangen und zwar den Verlust ihrer
Religion. Sie müssen ihre Kultur und ihre Religion behalten und
bewahren. Dabei sind sie auf die staatliche Hilfe angewiesen.
Auch der Gesetzgeber muss sie als religiöse Minderheit
anerkennen, damit sie auch von der Bevölkerung als
gleichberechtigte akzeptiert werden.
Die bereits
erwähnten Probleme sind nicht die einzigen, die die Êzîdî auf
ihrem Weg in eine erfolgreiche Integration in Deutschland mächtig
behindern. Dazu kommt auch ihr Misstrauen gegenüber Fremde, von
dem sie durch die Erlebnisse der Vergangenheit stark geprägt
sind. Das sind Gefühle, die unweigerlich in ihnen erweckt worden
sind und sie wahrscheinlich nie verlassen werden. Diese Mistrauen
wurde in Deutschland von Begin an, durch die unnötige, jahrelange
Verzögerungen über Entscheidung ihrer Asylanträge und die darauf
bzw. wehrend dessen über ihre Status als eigenständige
Religionsgemeinschaft gefallener Gerichtsurteile wesentlich
dramatisiert.
Hierzu ein
Beispiel:
»Ein
Oberkreisdirektor als Aufsichtsbehörde schreibt: Von türkischen
Staatsangehörigen, die hier als Asylbewerber Aufnahme suchen,
wird häufig vorgetragen, daß sie "yezidischer
Religionszugehörigkeit" seien. Es wird um die Eintragung dieser
Religionsbezeichnung in den entsprechenden Personenstandseintrag
gebeten. Bisher ist von den Standesbeamten auf mein Anraten hin
diese Religionsbezeichnung nicht in die Beurkundungen aufgenommen
worden, da meines Erachtens die .Religionsgemeinschaft der „Yeziden“
nicht zu den anerkannten Religionsgemeinschaften zu rechnen ist.
Ich habe die Absicht, beim Amtsgericht einen Antrag auf Löschung
eines Randvermerks über die "yezidische Religionsgemeinschaft"
den ein Standesbeamter eingetragen hat, zu stellen, bitte aber
vorher um die Stellungnahme des Fachausschusses zu dieser Frage.«
Das OLG Hamm, hat am 22.11.1990,
wegen dieser Beschwerde eine für die Êzîdî und ihre Zukunft in
Deutschland verheerendes Gerichtsurteil gefällt. Die Richter
haben tatsächlich eine Religion, die wahrscheinlich zu den
ältesten im Mesopotamien entstandene Religionen gehört, als keine
Religion gebrandmarkt und dabei haben die Richter sogar die
Entscheidung (1990) des Innenministers von dem Bundesland in dem
sich das Gericht befindet, übergangen, in dem es heißt: Es sei
unbezweifelt erwiesen, dass die Êzîdî in ihr Heimatland - gerade
wegen ihren andersartigen Glaubens- als religiöse Gruppe im
höchsten Masse verfolgt und sie aus diesem Grunde hier bleiben
müssen, damit sie nicht gänzlich ausgerottet werden.
Zitat aus der Urteilsbegründung: (Siehe hierzu
auch Kapitel Anhang)
»1. Die im
Geburtenbuch mit Einverständnis einzutragende rechtliche
Zugehörigkeit der Eltern zu einer Kirche, Religionsgesellschaft
oder Weltanschauungsgemeinschaft setzt voraus, daß die Kirche pp.
eine rechtliche Organisation besitzt. Dies trifft gegenwärtig für
die religiöse Gemeinschaft der Yezidi (jezidi) nicht zu. «
Weiter heißt es:
»Von diesem
Rechtsgrundsatz ist das Landgericht in dieser Sache auch
zutreffend ausgegangen.
Es hat ferner
in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, daß eine
rechtliche Organisation der jezidischen Religionsgemeinschaft
weder in der Türkei noch in der Bundesrepublik Deutschland
festgestellt werden könne...«
Ich frage all diejenigen, die der
Meinung sind, dass die Êzîdî naiv seien und, anstatt sich zu
integrieren dem Versprächen einer „terroristischen Organisation“
vertrauen und mit ihnen sympathisieren: wie soll man hier das
Vertrauen gewinnen und sich diese doppeltmoralische Gesetzgebung
anvertrauen? Einerseits wird allen Menschen Religionsfreiheit
versprochen und auf anderer Seite wird den Êzîdî genau dies per
Gerichtsbeschluss aberkannt. Die Êzîdî werden als religiöse
Gruppe als Verfolgte anerkannt, sie dürfen auch gerade nur
deswegen hier bleiben, gleichzeitig wird so ein Urteil über sie
gefällt, und damit ihnen das Recht auf religiöse Gemeinschaft und
Weltanschauung aberkannt. Ihnen wird jede Hoffnung auf ein
besseres Leben in Frieden und Freiheit in Person und Religion mit
einem Richterspruch, „im Namen des Volkes“ zunichte gemacht.
Die Êzîdî, die seit Jahrhunderte
und sogar seit Jahrtausende soviel Leid, das wegen ihrer Religion
ihnen zugefügt wurde und wird, erdulden mussten, sollen nun
solchen Doppeltmoral vertrauen und sich dieser Gesellschaft
fügen. Nicht zuletzt haben sie ihre Verfolgung und Vertreibung
auch diese Religion zu verdanken. Es ist ihrer Loyalität Gott
gegenüber und der Kraft des Mutes zu verdanken, dass sie trotzt
unzählige, Plünderungen, Genozide, Hinrichtungen, Massaker und
Verschleppungen bis jetzt überlebt haben. Nun darf dies nicht in
ihre Urkunden bzw. Geburtenbücher ihrer Kinder eingetragen
werden.
Ein weiteres Beispiel für
Diskriminierung von Menschen in Deutschland, weil „ihre Haare
schwarz und die der Deutsch blond sind“ und vielleicht deshalb
von Deutschen nicht akzeptiert werden.
Herr Beşir. Ö. lebt seit 19985 mit
alle seine Verwandten in Deutschland. Als seine Eltern mit ihm
und seine Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland
gefluchtet sind war er noch ein Kind. Er ist hier zu Schule
gegangen und hat eine Ausbildung als Heizungs- und
Lüftungsinstallateur erfolgreich absolviert. Er hat die Deutsche
Staatsbürgerschaft angenommen und hat seinen Militärdienst in der
deutschen Bundeswehr 1999/2000 geleistet. Als er (im September
1999) in seine Einheit eintrat, da hat ein Vorgesetzter zu ihm
gesagt. „Herr Ö. sie haben Pech gehabt! Wenn sie einen Monat
früher hier wären hätten sie noch ihre Landesleute kennen
gelernt.“ „Was für Landsleute meinen Sie?“ Fragte ihn Herr Ö. „Ja
die türkischen Soldaten, die hier bei uns waren, um mit uns
gemeinsam Militärmanöver zu üben.“ Man kann sich vorstellen wie
geschockt Herr Ö. war, als er hörte, dass die Armee in der er
seine Pflicht nachkommt auch mit den Soldaten eines Staates
gemeinsame Sachen macht, aus dem er und seine gesamte
Verwandtschaft fliehen mussten. Nach dem Wehrdienst (2000) hat er
geheiratet. Seine Frau ist ebenfalls in Deutschland aufgewachsen
und hat eine Ausbildung als Bäckerin absolviert und auch sie hat
die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Herr Ö. hat nach dem
Wehrdienst auch wieder eine feste Arbeitstelle gefunden. Nach der
Hochzeit wollte er mit seiner Frau eine neue Wohnung mieten und
sie haben deshalb in ihrem Wohngebiet die Zeitungen studiert.
Nach langer Suche, haben sie „endlich“ ein Angebot gehabt, das
ihren Ansprüchen entsprach. Sie haben sofort die Telefonnummer
gewählt, die unter dem Angebot stand. Weil der Anbieter am
Telefon nicht erkennen könnte wer die Interessierten sind hat er
einen Besichtigungstermin mit ihnen vereinbart. Nach der
Besichtigung hat der Vermieter ihnen die Wohnung zugesagt und
wollte ihnen noch Bescheid geben wann sie einziehen könnten.
Langezeit hat sich der Vermieter bei ihnen nicht mehr gemeldet,
deshalb haben sie selber bei ihm angerufen.
» „Ja“ sagte der
Vermieter: Ich
wollte ihnen die Wohnung vermieten, aber die Nachbarn wollen
keine Ausländer in ihrer Nachbarschaft haben und muss ihnen
deshalb sagen, dass ich meine Zusage wieder zurückziehen muss. «
Diese Geschichte zeigt, dass nicht
die Ausländer sich der Integration entziehen, sondern ihre
Gastgeber sie abstoßen, wo sie nur können.
Ich wüsste nicht wie unter solchen
Umständen eine Integration erfolgreich sein soll?
Eine andere Gefahr Opfer eines
blinden Fremdenhasses in Deutschland zu werden ist der Neid der
Deutschen, die sich automatisch gegen jeden richtet, die
erfolgreich sind und sich auch sichtlich mehr gönnen können als
ihre übrigen deutschen Nachbarn, z. B. in Form eines guten Autos
und Erwerb von Eigentum. Diesen Hass kann jeder Ausländer zum
Opfer werden, denn die Neider sind überall und reden auch gerne
mit den Anderen darüber wie ein Ausländer in der Nachbarschaft,
mit ihnen auf der Arbeit lebt und was sie (die Ausländer) sich so
alles leisten können und die Deutschen nicht. Man muss
tatsächlich höllisch aufpassen was man kauft, was man anzieht
etc. um die Blicke mancher Deutschen nicht auf sich zu lenken,
damit man nicht das Opfer ihres Neides zu wird.
Wie soll das möglich sein, wenn
ihnen nicht die Integration, sondern Assimilation angeboten wird?
Hiermit verlangt man von den Êzîdî einen sehr großen,
unbezahlbaren Preis. Sie werden nicht bereit sein dies in einer
Zeit, wie dieser zu bezahlen, weil das sonst ihrer Vergangenheit
nicht würdig und gerecht wäre.
Vom 28. bis 30. Februar 2000 hat in
Hannover, der erste Weltkongress der Êzîdî stattgefunden. Dieser
Kongress wurde von der ÊzîA (Yeziden Zentrum im Ausland) und
Gesellschaft für bedrohte Volker in Göttingen vorbereitet und
geleitet. Auch die Hoffnungen, die sie in diesen 1. Kongress
aller Êzîdî gesteckt haben sind bis jetzt fruchtlos geblieben.
Vielleicht auch deswegen, weil diese durch zwei traurige
Schicksalsschläge, die kurz nach der Kongress passierten,
überschattet worden ist. Der Tod von dem Qewwal Acco, einer von
den Ehrengästen aus dem Lalisch und das Unglück von 15 ezidischen
Flüchtlinge, die in das ägäische Meer zwischen der Türkei und
Griechenland ertrunken sind. Von ihnen waren sieben, zwei
Erwachsene und fünf Kinder, engste Verwandte von dem religiösen-
weltlichem Oberhaupt aller Êzîdî, Mir Tahsin Beg. Auch sie haben
versucht ihr Leben auf dem illegalen Weg, dem einzigen ihnen
möglichen Weg, zu retten. Nichtmall die engsten Verwandten von
dem ezidischen Religionsoberhaupt sind vor Verfolgungen sicher
und deshalb müssen auch sie, wie alle anderen vor ihnen und auch
nach ihnen, die gefährliche Reise in Begleitung von kriminellen
Schlepperbanden wagen, mit der Hoffung ein neues, unbeschwertes
Leben, irgendwo auf dieser Welt, anfangen zu können. Aber wie das
Beispiel zeigt haben sie nicht immer Glück und verlieren nicht
selten auch das Einzige, was sie noch besitzen und beschützen
wollen. Ja, es ist richtig, ich meine hiermit das nackte Leben.
Zu den Gründen Müssen leider auch
die üblichen Zwistigkeiten zwischen den zu Zeit erduldeten aber
politisch nicht unabhängigen Organisationen der Êzîdî genannt
werden. Diese Organisationen behaupten alle Parteien und
politisch unabhängig zu sein, aber die Realität sieht leider ganz
anders aus. Alle Anstrengungen diese Unabhängig zu erreichen sind
bis jetzt fehlgeschlagen, weil die Mehrheit der Êzîdî an ihre
altbewahrte Strategie „Konflikt vermeide Taktik“ gefesselt ist
und ohne eine fremde Hilfe nicht in der Lage ist sich zu
befreien. Diese Hilfe könnte der deutsche Staat ihnen bieten,
aber das Vertrauen ist auch hier aus bereits erwähnten Gründen
getrübt. Man kann sagen dass sie die Orientierung verloren haben
und nicht mehr in der Lage sind, zu erkennen wer ihr Freund und
wer der Feind ist. In der Heimat haben sie wenigstens das
gewusst. Dort haben sie wenigstens noch gewusst, dass niemand
außer ihnen selbst ihr Freund ist. In Diaspora ist ihnen
nichtmall diese Kenntnis geblieben.
Wie ist die Lage im Allgemeinen zu
beurteilen?
Ich wollte von dem ezidischen
Würdenträger, Feqîr Xidir, der extra wegen dem Kongress aus dem
Irak nach Deutschland gekommen ist, wissen, wie er unsere Lage
hier in Deutschland beurteile.
»Hun di nava
Bahreke kur dene, lê ez nizanim berê we li kûya.«
Ihr befindet euch
mitten in ein tiefes Meer, aber ich weiß es nicht wohin ihr
getrieben werdet. Lautete seine Antwort.
Er war kaum drei Wochen in
Deutschland als er unsere Lage so präzise und zutreffend
urteilte.
Für die Êzîdî könnte - wie es
momentan aussieht und wenn sich bald daran nichts ändert- nicht
schlimmer kommen. Sie haben, wie es aussieht, alles verloren,
ihre Heimat, die Familie, Kinder, Frauen und auch Religion.
Nichts ist ihnen geblieben.
Im August des Jahres (1998) wurde
bekannt, dass ein Deutscher, namens Burkhard in Celle bei
Hannover, mehr als 132 ezidische Mädchen, zum Teil noch
minderjährige, von ihren Elter verfremdet und sie an die
Drogendealer und Bordellbesitzern verkauft habe. So wurde in den
kurdischen Medien (Medya TV. Und Özgür Politika) berichtet. Ein
Alptraum und Todsunde für jeden Êzîdî. Einen schlimmeren Schmerz
hätte man ihnen nicht zufügen können.
Das erweckt in jeden Êzîdî die
Erinnerungen an all die Frauen und Mädchen, die von den Moslems
gewaltsam entführt und vergewaltigt würden.
Es ist allgemein bekannt, dass auch
die kurdische, politische Organisationen ezidische Jugendliche
für den Kampf gegen den „Feind“ für die „Befreiung“ des Heimat
auch in Diaspora rekrutieren und sie in einem Krieg, vor dem sie
geflüchtet sind und dem sie auch nicht gewachsen sind, schicken.
Von denen, die bis jetzt geschickt wurden, ist nach meinem
Kenntnisstand bis heute leider noch keiner lebend zurückgekommen.
Dazu kommen noch die tagtäglichen
Probleme, die in jeder zivilisierten Gesellschaft existieren und
alle Eltern davor eine ungeheure Angst haben. Ich meine, die
alltäglichen kriminelle Gewalttaten, die meist von den
Jugendlichen ausgehen/ begangen werden und ebenfalls an die Êzîdî
und ihren Kindern nicht spurlos vorbei gehen.
Ein großes Problem, das allen in
Deutschland dauerhaft lebenden Ausländer eine ungeheure Angst
macht sind die von Tag zu Tag spürbar zunehmenden Ausländer-
Fremdenfeindlichkeiten. Davor haben auch die Êzîdî eine
ungeheure Angst und leiden auch dementsprechend. Keiner kann es
mit Sicherheit ausschließen, dass nicht auch Êzîdî zum
Angriffsziel/ Opfer dieser höchst aggressiven, blinden und
ausnahmslos gegen alle Ausländer gerichteten feigen Hass werden.
Ausländerfeindlichkeit in Deutschland
„Ich habe
oft einen bitteren Schmerz empfunden bei dem Gedanken an das
deutsche Volk, das so achtbar im einzelnen und so miserabel im
ganzen ist.“
Johann Wolfgang von Goethe
Jeder Ausländer, der in Deutschland
lebt und arbeitet weiß, dass keiner von ihnen sich, auf Dauer
gesehen, hier sicher fühlen kann. Niemand, auch nicht die
Staatvertreter (Politiker) kann/ können ihnen diese berechtigte
Ängste wegnehmen, weil man sie mit den bis jetzt angewandten
Mitteln, auf Dauer gesehen, auch nicht beschützen wird geschweige
kann. Die meisten Opfer glauben längst erkannt zu haben, dass all
die Beteuerungen seitens der Politiker nur zum Schütze des
deutschen Images nach Außen dienen und dass sie damit nur
Schadensbegrenzung für die deutsche Wirtschaft pflegen wollen.
Angriffe auf Ausländer und
ausländische Einrichtungen sind heimtückisch und feige. Die
deutsche Presse, die auch von Politikern tatkräftig unterstützt
wird, ist stets bemuht diese Untaten nach Außen hin als
verzweifelte Taten einiger wenigen, „verzweifelten, aus dem
elterlichen Haus abgehauene/ abgestoßene, perspektiv- und
orientierungslose“ Jugendlichen, die keine Aussicht auf eine
„bessere Zukunft“ haben und deshalb ihre Wut so entladen,
dazustellen. Manch anderer ist sehr bemüht das Ganze als das
Problem einiger Problemregionen dazustellen. - Die Rede ist von
Ostdeutschland, also ehemaligen DDR -. Diese Argumente
entsprechen so nicht der ganzen Wahrheit und betreiben eine Art
Verschleierung. Sie wollen nur davon, dass ihre bis jetzt
angewandten Aufklärungsmethoden kläglich gescheitert sind,
ablenken. Damit will man bewusst oder auch nicht, nicht wahr
haben, dass eine gefährliche und nicht zu unterschätzende Teil
von deutscher Bevölkerung aus ihren nahen, schlimmen
Vergangenheit, so gut wie nichts gelernt habe und sie weiterhin
nicht bereit sind dies zulernen. Die Idee zum Gewalt gegen
„Ausländer“ entsteht nicht nur in den Köpfen einigen wenigen
„perspektivlosen“ Jugendlichen. Diese Idee wird überwiegend von
der übrigen Mehrheit in ihren Köpfen gegossen und auch die
„Gehrungsmittel, die Hefe“ für diese Gewalt geben die
„Unschuldigen“ dazu. Manche Medien und Politiker rühren kräftig
darin, bis daraus eine hochexplosive Masse wird, nach der
Explosion, das nicht unerwartet dazu kommt, zeigen sich diese
meist als erste von ihrer heuchlerischen Seite. Sie sind die
wahren Entsetzten und Staunende über solche „schrecklichen
Gewalttaten gegen die Mitbürger“, die „das Boot voll gemacht
haben“, sich an die „Deutschen Leitkultur nicht anpassen wollen“
und deshalb man mit Kompanien wie: „Kinder statt Inder“, und mit
„Unterschriftensammlungen gegen doppelte Staatsbürgerschaft“
verhindern muss, dass sie auch nach dem Gesetze einen
gleichberechtigten Teil der gesamten Gesellschaft werden. Auch
die These, dass die DDR daran schuld ist, dass heute Ausländer
aus deutschen Städten verjagt werden, um „befreite Zonen für die
Deutschen“ zu schaffen ist grundsätzlich falsch. An dieser Stelle
möchte ich daran erinnern, dass DDR seit elf Jahren Vergangenheit
ist und die Täter (vorausgesetzt man glaubt, was in den Medien
gesagt wird und die Presse schreibt) überwiegend 16 bis 20
jährige Jugendliche sind und sie damit nicht in einer
kommunistischen DDR-Gesellschaft, sondern in den „aufgeklärten“
und demokratischen Deutschen Schulen erzogen worden sind. Also,
für diese Gewalttäter und Mörder ist das Thema DDR kein Grund
mehr für ihre Mordsucht. Bemerkung: Nach Gesetzgeber ist der
Mensch mit 18 volljährig und für seine Tun und Fehlern selber
verantwortlich, weil es auch die geistliche Fähigkeit dafür
besitzt.
Natürlich können wir froh sein,
dass man die Zahl derer, die lautstark mit Parolen wie:
„Ausländer raus“ Fremde, unschuldige und wehrlose Menschen in
aller Öffentlichkeit durch die deutschen Strassen zur Tode
hetzen, Asylbewerberheime, wehrend die Bewohner drin Schlaffen
anzünden etc. nicht als deutsche Demokratie repräsentieren kann
und auch nicht darf. Zumal auch die Mehrheit der Deutschen selber
darüber nicht glücklich ist, daran kann niemand zweifeln. Aber
man darf auch die Zahl derer nicht verschweigen, die im
Verborgenen, im Geheim Benzin auf diese Funken schütteln, denn
meiner Meinung nach diese Menschen sind es, vor denen man Angst
heben sollte und die man bei der Bekämpfung dieses Problems
berücksichtigen muss, weil sie in meinen Augen die wahren Täter
sind. Solange diese Leute hinter den Kulissen ihr Unwesen treiben
dürfen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn sich die Zahl der
gewalttätigen Übergriffe auf Mitbürger von Jahr zu Jahr fast
verdoppelt.
Ganz ehrlich gestanden, ich mache
mir nicht um meine Generation sorgen, sondern um die von meine
Kinder und nach ihnen. Wir haben das Glück im Unglück, dass der
schreckliche zweite Weltkrieg, der mindesten 52 Millionen
Menschenleben gefordert hat nicht allzu lange zurückliegt und
dass noch genug Menschen leben, die gerade noch aus den Fängen
dieser Todesmaschinerie mit dem Leben davongekommen sind und noch
lautstark an die Schrecken von „Damals“ erinnern. Aber was wird
dann sein, wenn die letzten von ihnen ihre Augen schließen und
ihren Zungen für immer schweigen? Meine Kinder werden mit den
Kindern dieser Menschenhasser leben müssen. Werden ihre Kinder
bessere Menschen sein als ihre Eltern?
Wenn die deutsche Generation von
heute, die noch zum Teil aus den Überklebenden eines
schrecklichen Krieges besteht, dessen Ursachen die Deutschen
selber waren, nicht schaffen eine Methode zu finden, mit der die
Gefahr für eine Wiederholung der Geschichte für immer gebannt
wird, dann sind meine Sorgen nicht unberechtigt.
Gibt es für die
Êzîdî noch eine Zukunft?
„Ich will
nicht dazu beitragen, dass auch noch die letzten Jezidi nach
Europa kommen. Nicht weil für sie kein Platz ist, sondern weil
sie hier ihre Kultur und ihre Religion verlieren werden. Daran
mitgewirkt zu haben macht mich traurig.“
So Herr Herbert Schnoor
(Innenminister NRW. A. D.) wehrend seines Besuchs bei den Êzîdî
in Bielefeld (24.10.1989) (Bericht: Neue Westfälische Zeitung;
24.10.1989 in Bielefeld)
Die Êzîdî könnten eine Zukunft
haben, wenn sie ihr Schicksal selber in der Hand nehmen würden
und eine eigene Identität suchen und finden. Aber dafür sind sie
selber zu schwach, weil sie sich von ihren alten Lasten, wie dem
Traum von einer Rückkehr nicht lösen können.
Dabei musste es ihnen mittlerweile
klar geworden sein, dass eine Rückkehr mit noch mehr Problemen
und Schwierigkeiten verbunden ist als sie selber sich vorstellen
können. Dazu gehören die Kinder, die sich hier, so gut wie es
ihnen nur möglich ist, integriert haben und an eine Rückkehr gar
nicht denken. Die andere ist die Tatsache, dass ihre Feinde, vor
denen sie geflüchtet sind, nicht wie sie ihre Heimat ihre Dörfer
verlassen haben und noch dort wohnen, wo sie immer gewohnt haben,
und dass diese zum Teil auch die verlassene Êzîdî-Dörfer
mittlerweile im Besitz genommen haben. Also, eine Rückkehr in
ihren Dörfern ist entweder unmöglich und wenn überhaupt, dann
wird es unbezahlbar teuer seien. In diesem Sinne bleibt nur zu
raten sich von dieser Idee zu trennen und ihre Gedanken dazu zu
benutzen, wie eine Zukunft hier aufgebaut und gesichert werden
kann. Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir immer noch auch in
Diaspora von manchen politischen Organisationen sehr beschränkt
werden, unsere Zukunft selber in der Hand zu nehmen. Wir dürfen
solche Hindernisse nicht als Vorwand nehmen und deshalb untätig
bleiben. Die Hurden die wir überwinden müssen sind schon immer
vorhanden gewesen und auch unsere Vorfahren haben damit gelebt
und sind damit auch so gut, wie es ihnen nur möglich war fertig
geworden. Warum sollten wir sie nicht bewältigen können? Wir
sollten ein Weg finden, wie wir eine für uns akzeptable
Integration erreichen konnten, um uns und unsere Religion eine
Perspektive zu schaffen. Wir müssen eine Atmosphäre schaffen in
der wir möglichst ohne große Verluste von unserer alten Kultur
mit der von unseren Gastgeberländern in einen Konsens leben
können. So, dass wir auch von ihnen, was auch Voraussetzung für
eine erfolgreiche Integration ist, akzeptiert werden.
Dazu sind einige Veränderung,
Reformen in der Gesellschaft nötig.
Reformen in der Religion
Bevor ich einige Ideen aufliste,
möchte ich noch einige Bemerkungen voranstellen. Da ich selber
ein Êzîdî bin, möchte ich an dieser Stelle das Wort „wir“
verwenden um auch mich in diesen Vorschlägen zu verpflichten.
Vielleicht haben wir unsere
Religion heimlich mehr verändert (Reformiert) als uns lieb ist.
Wir haben, was die Inhalte der Religion angeht, bis auf eines
(Heiratsregel) fast alles verändert z. B. Was Essen, Bekleidung
und Bart- und Haarschneiden angeht, wird zum größten Teil nicht
mehr beachtet. Also, eine heimliche aber große Reformation haben
wir bereits stattfinden lassen. Mit „heimlich“ meine ich: ohne
die nötige Zustimmung der Geistlichen.
Nun was ist noch übrig geblieben?
Außer der Heiratsregel ist mit
Sicherheit nicht viel übriggeblieben und manche wollen auch das
aufheben.
Nein, das wäre ein riesiger Schritt
in Richtung des völligen Untergangs der ezidischen Religion in
der Diaspora. Wir dürfen nicht vergessen, was uns so sehr von den
übrigen Religionen der Welt auszeichnet und wofür und warum sich
unsere Vorfahren, so zahlreich, geopfert haben bzw. sie
massakriert worden sind. Und ihr dürft auch nicht vergessen, dass
genau diese Heiratsregel uns bis jetzt vor der völligen Untergang
bewahrt habe.
Es ist richtig, dass wir hier, fern
der Heimat, Reformen unbedingt nötig haben und das auch möglichst
bald. Aber was sollen wir reformieren? Hier einige Vorschläge.
Ich bin der Meinung, dass die
Reformen auch ein Sinn und Zweck haben müssen. Mit Reformen
werden gewöhnlich Probleme, die die Gesellschaft bei der
Weiterentwicklung behindern aus dem Weg geräumt.
Was sind die Probleme, die den
Êzîdî im Weg stehen, die für sie große Hindernisse sind?
1. Blutfehden, die teilweise noch
in der Heimat (Herkunftsland) entstanden (angefangen) sind und
hier weiter geschurrt werden. Es ist eine Schande für uns, wenn
wir nicht in der Lage sind, solche Feindseligkeiten für immer zu
Stoppen.
2. Wir brauchen unbedingt eine
politisch vollkommen unabhängige Organisation für alle Êzîdî,
ganz besonders in Europa, mit einer Führungsperson, der nur für
die Probleme der Êzîdî zuständig ist.
Bemerkung: Es ist richtig, dass in
Deutschland im Namen der Êzîdî bereits manche Organisationen/
Vereine existieren, die, wie man bei der ersten Êzîdî Kongress in
Hannover gesehen hat, nicht mit einander, sondern gegen einander
arbeiten. Solche Organisationen brauchen wir nicht. Sie schaffen
uns, nach meiner Meinung nach, mehr Probleme als die bereits
bestehende abzuschaffen.
3. Alle ezidischen Gemeinden Müssen
für sich ein Raum für die Feierlichkeiten und andere Zwecke (z.
B. wenn Jemand stirbt) einrichten/ bauen, damit sie nicht jedes
Mal, wenn sie ein Raum brauchen, vor lauter Verzweiflung jede
Orientierung verlieren.
4. Plätze für die Toten (Friedhofe)
brauchen wir unbedingt.
5. Wir brauchen ein Gremium, das
darüber wacht, dass die Anweisungen, die von dem religiösen
Führer erlassen werden auch beachtet werden (bzw. die seitens der
Religiösen Führer bereits eingeleitete Reformen umgesetzt
werden) Z. B. der Verehrter Mîr Tahsin Beg hat gesagt, dass
mehr als zweitausend DM Necht (Mitgift für die Frauen bei der
Heirat) Sunde ist, und dass die Eltern darüber hinaus weder mehr
verlangen noch annehmen dürfen. Aber wie wir alle wissen, alle
Êzîdî in Deutschland haben diese Anweisung gehört nur beachtet
hat es noch keiner. Um ehrlich zu sein, mir kommt es vor, dass
wir trotzt der zahlreichen Klagen über diesen Misstand eine
Besserung nicht möchten, zumindest die meisten von uns wollen
dies nicht. Wer soll uns daran hindern, selber kein Next
anzunehmen?
6. Der nächste Schritt ist: Wie
können wir die religiöse Inhalte und unsere Feste für die Kinder
noch interessanter machen damit sie auch in Zukunft beachtet und
gefeiert werden?
7. Uns fehlen im Exil z. B. die
Ziaret`s. Wie können wir ihre Bedeutung den Kindern beibringen?
Vielleicht mit Hilfe von
Religionsunterricht? Dafür brauchen wir aber unbedingt Bücher.
8. Auch in punkto Heirat gibt es
Sachen, worüber wir unbedingt nachdenken müssen, ob sie noch
Zeitgemäß sind? Hierzu gehört beispielsweise Tausch von Töchtern
(Berdêlî).
9. Wie können die Geistlichen mehr
in ihre Aufgaben gebunden werden? Damit manche von ihnen neben
ihr Portemonnaie auch an ihre Aufgaben (Verpflichtungen)
gegenüber ihrer Mirîd´s (Junger) denken. Vielleicht mit Hilfe
eines Systems wie „die Kirchensteuer?“
10. Was können und müssen wir tun,
damit unsere Kinder ihre Leben nicht in den Gefängnissen
verbringen, sondern in den Schulen und Ausbildungsstädten?
Es gibt noch viele andere Probleme,
die wir haben und die man unbedingt beseitigen muss, damit wir
nicht das erste Volk auf der Erde sind, das nicht durch ständige
Verfolgung und unzählige Ausrottungsversuche untergegangen ist,
sondern durch die Freiheit.
Uns Êzîdî hat es, materiell
gesehen, noch nie so gut gegangen und wir standen auch noch nie
dermaßen in dem Rampenlicht der Weltöffentlichkeit wie jetzt. Es
ist an der Zeit unseren rasant fortschreitenden Untergang zu
stoppen.
Wir haben ganz alleine in der
Hand, ob die Êzîdî auch in der Zukunft existieren werden oder
nicht. Und nur wir können dafür sorgen, dass all das zu unrecht
vergossenes Blut unserer Vorfahren nicht vergessen wird.
Noch einmal zur Klarheit: für mich
bedeuten momentan Veränderungen in der Religion nur Schminke.
Damit wird nur die Fehler einiger Abtrünnige verschleiert, weiter
nichts.
Um sich schminken zu können,
braucht man in erster Linie ein Gesicht, und ein Gesicht können
wir nur dann haben, wenn wir uns selber verändern, und sich in
erster Linie an die Gesetze der Gesellschaft und auch an seiner
Umwelt, in der wir uns befinden, anpassen.
Also, was wir verändern müssen ist
in erster Linie die Gesellschaft und nicht die Religion.
»Ihre
Hingebung an ihren Glauben ist nicht weniger merkwürdig als bei
den Juden, und ich kann mich keines Falles erinnern, wo ein
Erwachsener seinem Glauben untreu geworden wäre. Sie ziehen
jederzeit den Tod vor und ertragen mit der größten
Standhaftigkeit die ihnen angetanen Martern. Sogar Kinder von
zartem Alter, die in türkischen Harems aufgezogen waren und sich
dem Namen nach zum Islam bekannten, haben oft im geheimen die
eigentümlichen Lehren ihrer Sekte bewahrt und die Verbindung mit
Jezidi-Priestern aufrechterhalten.«
Es bleibt nur
zu hoffen, dass die Êzîdî sich an diese Worte erinnern werden und
weiter hin so standhaft und duldsam bleiben. Alles andere passt
einfach nicht zu ihnen.
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