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Kapitel Vier
Dieser Bericht beruht auf IGFM-Auskünften an
die Verwaltungsgerichte Weimar (22.12.1999) und Meiningen (19.04.2000)
August 2000
© 2000 IGFM - Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
Redaktion Wanda Wahnsiedler
Jezidi
eine
verschwiegene Minderheit auf der Flucht:
aus Georgien vertrieben - von Deutschland abgelehnt
2. Jezidi in Georgien
2.1 Kurze Zeit der Anerkennung
Gemäß der Volkszählung
von 1989 gab es in Georgien 33 000 Jezidi. Nach dem "Blutigen Sonntag" in
Tiflis, als am 9.4.1989 sowjetische Sondereinheiten mit Kampfgas und
Armeespaten gegen die friedliche Demonstration der georgischen
Unabhängigkeitsbewegung vorgingen, hat sich die Mehrheit der Jezidi dieser
Bewegung angeschlossen.
Nachdem im Oktober 1990 das demokratische Bündnis "Runder Tisch - Freies
Georgien" unter Leitung des Bürgerrechtlers, Swiad Gamsachurdia, in den ersten
freien Parlamentswahlen siegte, begann sich die Lage der Jezidi spürbar zu
verbessern. Sie erhielten das Recht, eine Zeitung in ihrer Kurdensprache zu
drucken, erhielten Sendezeiten im Rundfunk; jezidische Lehrer durften in
Schulen für jezidische Kinder kurdischen Sprachunterricht geben. 1991 wurde in
Georgien die jezidische Vereinigung "Ronai" ("Licht") gegründet, die
sich mit der Pflege der jezidischen Kultur, Glaubens, Traditionen und Sprache
befaßte.
2.2 Verfolgung und Vertreibung nach 1992
Der Verfolgung und
Vertreibung der Jezidi aus Georgien liegen gleichermaßen politische Gründe als
auch der wachsende Nationalismus in Gesellschaft, Kirche und Staat zugrunde.
Staatliche Verfolgung
Die Nähe der Jezidi zur
georgischen Unabhängigkeitsbewegung und ihre Unterstützung für Präsident Swiad
Gamsachurdia brachte den Jezidi nach dessen Sturz infolge eines bewaffneten
Putsches Anfang 1992 den Vorwurf, "Swiadisten"1) zu sein, und
damit verbundene Verfolgung ein. Nach dem Ausbruch des georgisch-abchasischen
Bürgerkriegs im August 1992 kam für diese religiöse Minderheit aufgrund des
wachsenden Nationalismus ein starker Vertreibungsdruck hinzu, der in einer
Fluchtwelle mündete, die einem Exodus gleichkam. Sie flohen vor einem Alltag,
der aus konstanter panischer Angst vor Überfällen, Gewalttaten gegen jung und
alt bis hin zu Morden, Entführung, Vergewaltigung, Erpressung, Raubüberfällen,
Vertreibung aus dem Eigenheim (das bei Weigerung angezündet wurde) bestand. Sie
hatten Angst, die Kinder in die Schule zu schicken, weil sie dort von
aufgewiegelten Mitschülern verprügelt wurden. Sie hatten Angst, daß der Sohn
zwangsrekrutiert wird und im Zinksarg zurückkehrt. Es begann damit, daß die
Gemeindevorsteher - die Scheichs - vertrieben oder umgebracht wurden,
dann ihre Schützlinge. Die meisten Jezidi flohen nach Rußland, ein kleiner Teil
kam nach Westeuropa.
Der Staat tat nichts, um die Jezidi zu schützen. Er hatte weder den Willen noch
den Wunsch, seine Schutzfunktion auszuüben und Einhalt zu gebieten. Eher
umgekehrt: Es waren vor allem staatliche Organe -- das Innen- und das
Sicherheitsministerium, (Polizei und Geheimdienst), das
Verteidigungsministerium sowie die unter Präsident Schewardnadse zu hohen
Staatspersonen aufgestiegenen Warlords --, die großen Anteil an diesem
Verfolgungs- und Vertreibungsdruck hatten. Nur in ganz seltenen Fällen nahm die
Polizei Ermittlungen wegen Gewalttaten, Entführungen und Morden an Jezidi auf.
Denn in vielen Fällen war sie der eigentliche Täter. Was konnte man auch von
einer Ordnungsbehörde erwarten, der als Innenminister Personen vorstanden, wie
·
der 1993 von Schewardnadse zum
Innenminister berufene Temur Chatschischwili, der eine 10jährige
Haftstrafe verbüßt hatte, weil er einen Menschen wegen einer Jeanshose
umbrachte,
·
oder sein Nachfolger, der
ehem. KGB-General, Schota Kwiraja, der in Anwesenheit Eduard
Schewardnadses fünf wehrlose gefesselte Menschen erschossen hat.
Schlimmste Verbrechen
bis hin zum Mord, die georgische Ordnungsorgane an den Jezidi nach 1992
verübten, bleiben bis heute ungesühnt. Wie z.B.im Fall von Eduard Tamojew,
von dem die Polizei in Tiflis Schutzgelder erpresste und ihn im April 1993 zu
Tode prügelte, weil er die Zahlung verweigerte. Einige weitere Beispiele aus
der Liste der der IGFM bekannten Fälle:
·
Der Jezide, Riso Dawresow,
erleidet infolge der Mißhandlungen auf dem Polizeirevier einen Schlaganfall und
stirbt.
·
Drei Polizisten gehörten zu
einer Gruppe, die im September 1994 die Wohnung der jezidschen Familie
Tscholi Agadschanow überfiel, ausraubte und zwei anwesenden Frauen mit
heißem Bügeleisen Brandwunden zufügte. Nach Erstattung einer Anzeige wurde die
Familie mit Drohanrufen terrorisiert, im Februar 1995 wurde ihr Heim
angezündet.
·
Der 18jährige Giwi
Odschojan wurde 1995 auf dem Polizeirevier erschlagen. Drei Tage später
starb sein Bruder Temur infolge einer giftigen Injektion, die er auf dem
gleichen Polizeirevier gewaltsam verabreicht bekam.
·
Als Tengis Bakojan
wegen regelmäßiger Überfälle auf seine Familie 1994-95 bei der Polizei Anzeige
erstatten wollte, wurde er dort zusammengeschlagen, und man droht ihm eine
Haftstrafe an, sollte er noch einmal eine Anzeige wagen. Weitere Überfälle und
gewalttätige Übergriffe auf die Familie und die Schutzlosigkeit zwangen sie
schließlich zur Flucht aus dem Land.
·
Familie Memeol Kalaschow:
Vater Memeol wurde im Februar 1995 entführt, bewußtlos geschlagen, ihm wurden
die Zähne ausgeschlagen. Polizei verweigerte die Ermittlungen, weil er Jezide
war. Seit 1995 wurde sein Schwiegersohn, Surab Asmanow, mehrmals von der
Polizei festgenommen, die von der Familie Lösegeld für seine Freilassung
erpresst. Asmanows Elternhaus wurde niedergebrannt, sein Vater schwer
mißhandelt, seiner Mutter schnitt man die Nase ab. Kalaschows Schwager verstarb
an Mißhandlungen auf der Polizeiwache.
·
Im März 1996 wurden
Teimuras Askarjan und sein Schwager von Polizisten auf offener Straße
entführt, ausgeraubt und bewußtlos geschlagen. Zwei Tage später fand man sie
schwer verletzt auf einem Tifliser Friedhof. Askarjan überlebte die
Verletzungen nicht und starb kurz darauf im Krankenhaus. Sein Schwager ist
seitdem behindert. Im Dezember holte die Polizei ihn ab und erklärte der
Familie, daß sie ihn gegen 3000 US-Dollar freikaufen könne.
·
Im August 1996 überfielen
Polizisten, die von der Familie Kasoew regelmäßig Geld erpreßten, die
Wohnung der Familie und rauben sie aus. Der anwesenden Mutter, Kubar Kasoewa,
fügten sie Verbrennungen mit einem Bügeleisen zu.
·
Jahrelang gelang es dem
Oberstleutnant der Polizei, Reso Abassow, zu verheimlichen, daß er
jezidischen Glaubens war, bis der georgische Geheimdienst es herausfand. Er
wurde von zwei Angehörigen des Geheimdienstes in seinem Arbeitszimmer
erschossen.
·
Rasmik Kalojan wurde von Polizisten, die von ihm Geld erpressten,
wegen ausstehender Zahlungen an seinem Arbeitsplatz aufgesucht und
zusammengeschlagen; sie nahmen ihm sein Auto weg. Im Frühjahr 1997 floh die
Familie nach wiederholten Erpressungen und Brutalitäten der Polizei aus
Georgien: beim letzten Besuch stieß ein Polizist die Mutter so, daß sie ihr
kleines Kind nicht mehr halten konnte. Es fiel in einen Bottich mit heißem
Wasser und wurde verbrüht.
Wie die Familie T. Kokojan vertrieben wurde
Die Großfamilie Kokojan lebte im Tiflis. Nach 1992 begann man, sie
nachdrücklich aufzufordern, ihre Wohnung zu räumen und aus Georgien zu
verschwinden, doch die Kokojans weigerten sich. Am 27.7.1996 versuchten
bewaffnete Uniformierte, auf offener Straße die 16jährige Tochter Kokojans zu
entführen. Sie wehrte sich heftig, wurde daraufhin zusammengeschlagen und mit
Stiefeln in den Bauch getreten. Passanten brachten sie ins Krankenhaus, wo sie
umgehend operiert werden mußte. Das Mädchen hat die Wohnung seitdem nicht mehr
verlassen. Am 2.8.1997 wurde Kokojans Ehefrau von drei bewaffneten
Uniformierten auf offener Straße ins Auto gezerrt. Sie wurde von ihnen
vergewaltigt und erst am nächsten Tag freigelassen. Der Sohn mußte 1996 nach
vier Wochen sein Jura-Studium an der Hochschule aufgeben, weil er von seinen
georgischen Mitstudenten tagtäglich zusammengeschlagen, ausgeraubt, erpresst
und beschimpft wurde: "Ein Jezide hat kein Recht auf ein Studium". Ständig
wurde er von der Polizei angehalten, die von ihm Geld forderte.
T.
Kokojan, der ein Lebensmittellädchen auf dem Markt betrieb, wurde von
bewaffneten Polizisten und Nationalgardisten aufgesucht und ausgeplündert.
Wehren konnte er sich nicht, man drohte ihm stets, ihn dann umzubringen. Am
15.4.1998 holte ihn die Polizei ab, brachte ins Innenministerium, wo er
entsetzlich zusammengeschlagen und mit kochendem Wasser überbrüht wurde. Bevor
man ihn auf freien Fuß setzte, erklärte man ihm, daß sein Laden beschlagnahmt
sei und er sich dort nicht mehr blicken lassen dürfe. Am 5.5.1998 holte ihn die
Polizei von zu Hause ab und brachte aufs Revier. Dort schlug sie ihn so
zusammen, daß einige Rippen brachen. Die Polizei forderte ihn zum wiederholten
Mal auf, die Wohnung herzugeben, und drohte an, anderenfalls seine Kinder zu
verbrennen.
Am
1.6.1998 floh die Familie Kokojan nach Deutschland. Der seelische und
gesundheitliche Schaden, der ihr in Georgien zugefügt wurde, ist enorm.
Nur
in ganz seltenen Fällen wurden die Staatsdiener bestraft, allerdings sehr
milde, und waren stets die ersten, die bei der nächsten Amnestie freikamen. So
z.B. die drei Polizis-ten, die Dschemal Unisjan erdrosselten, weil er
ihnen die Zahlung von Schutzgeldern verweigerte. Als sein Sohn Tengis gegen das
milde Urteil (zwei erhielten je 4, einer 3,5 Jahre Haft) Klage einlegte, drohte
man ihm das Schicksal seines Vaters an.
In
allen Fällen wurde den Hinterbliebenen der Opfer verdeutlicht, das Land auf
schnellstem Wege zu verlassen. Wer der Aufforderung nicht folgte, dessen Haus
wurde angezündet oder er wurde aus der Wohnung geworfen. Oder aber man half mit
Androhung von Gewalt, Entführung oder einem Einzug zum Militär (aus dem bereits
viele nicht lebend zurückgekehrt sind) nach
Auch nach der Aufnahme Georgiens als Vollmitglied in den Europarat im April
1999, hat sich an der Lage der wenigen im Lande noch verbliebenen Jezidi nichts
geändert. Sie werden nach wie vor im Berufsleben so auch in der Bildung
benachteiligt. Aufgrund des Politmalus gehörten sie zu den ersten, die
entlassen wurden. Nach Auskunft der Hochschullehrer, die Mitglieder der
georgischen IGFM-Sektion sind, wurden Jugendliche an der Aufnahme in eine
Hochschule bzw. an einem Hochschulstudium gehindert, sobald sich herausstellte,
daß sie Jezidi sind.
Auch blieben sie Zielobjekt der polizeilichen Willkür. Beispielhaft dafür war
die Reaktion der Tifliser Polizei, nachdem im Bezirk, wo viele Jezidi leben, am
23.5.1999 der Polizeibeamte, Leri Telidze, gegen 23.00 Uhr von Unbekannten
erschossen wurde: Sie führte in der Nacht bei jezidischen Familien eine groß
angelegte Razzia durch. Wenn eine Wohnung verschlossen war, weil keiner da war,
wurde die Tür eingetreten. Wer zu Hause war, wurde festgenommen und auf die
Reviere transportiert - Männer, Frauen, .Alte, Jugendliche. Auszug aus einem
Bericht in "Achali Toaba" ("Junge Generation") vom 29.5.1999:
"... Malchas Safarow hatte furchtbare blaue Flecken und Blutspuren im Gesicht.
Eine Nachbarin sagte, daß er bei der Polizei geschlagen wurde. Er selber sagte
uns, daß er von der Treppe gefallen sei. Es war schon erstaunlich, wie viele
Menschen nach einem Aufenthalt in einem der Polizeireviere "von Treppen fallen"
und dabei alle die gleichen Spuren und blaue Flecken aufwiesen.
Murad Kazijan hat keine Angst und erzählt: "Ich bin krank. Sie kommen und
prügeln mich, es nimmt kein Ende. Ich will die Spuren nicht zeigen, es ist mir
peinlich. Ich traue mich nicht mehr, auf die Straße zu gehen. Ein ganzes
Wohnviertel hat man zur Polizei gebracht. Sehen Sie dieses kranke Mädchen? Sie
ist taubstumm. Man hat sie auch mitgenommen. ..."
"Uns hat man zum Verhör mitgenommen. Dort hat ein Polizist mich auf schlimmste
Weise beschimpft. Wir sind Jugendliche. Darf man sich so benehmen? Sie sagten
mir "Du bis als Jungfrau hierher gebracht worden, gehst aber nicht mehr als
solche heim", sagt Inga Aslanjan. Eine alte Frau erzählt, daß die Polizei ihre
Wohnungstür und Fensterscheiben eingeschlagen hat, als sie nicht daheim war.
Ein junger Mann sagt: "Ich habe Angst vor einer neuen Festnahme. Deswegen gehe
ich nicht mehr zur Arbeit..."
Nach
dem Polizistenmord erklärte der Tifliser Polizeichef im Fernsehen wörtlich:
"Wir werden uns für diesen Mord rächen". Das was man den Menschen hier angetan
hat, war seine Rache.
Beim Abschied sagten mir meine Gesprächspartner: "Man hat uns gesagt, daß der
Täter bekannt ist. Was will man dann von uns? Wie verweigern keine Aussage,
aber man muß uns doch nicht schlagen und beschimpfen. Viele Familien hier sind
offiziell weggezogen, tatsächlich aber sind sie geflohen, weil sie Angst
hatten. Sie hatten Angst, von der Polizei festgenommen und geschlagen zu
werden. Wir gehen ins Bett voll bekleidet, weil wir Angst haben, daß sie wieder
kommen. ..."
Ein Entkommen ist praktisch nicht möglich. Der Teil Georgiens, der von Tiflis
aus regiert wird -- d.h. alle Regionen außer Abchasien, Südossetien und z. T.
Adscharien --, ist ein zentralistisch regierter Staat mit straffen
Zuzugsregeln, die noch aus der Sowjetzeit stammen. Das Meldesystem
gewährleistet, daß die Einwohnerbehörde am neuen Wohnort Zugriff auf die Daten
hat, die am alten Wohnort über den Einwohner angelegt wurden. Eine Übersiedlung
in das separatistische Abchasien ist nicht möglich, da die
georgisch-abchasische Grenze für derartige Unternehmungen undurchlässig ist.
Darüber hinaus steht der abchasische Nationalismus dem georgischen in nichts
nach. Gleiches trifft auf Südossetien zu.
2.3 Nationalismus und Kirche
Der Nationalismus unter den Georgiern stieg in dem Maße, in dem separatistische
Bewegungen in den Teilrepubliken bzw. -regionen Georgiens (1990 in Südossetien
und 1992 in Abchasien) zunahmen, die Wirtschaft infolge der drei Bürgerkriege
und Korruption ruiniert wurde, das öffentliche Leben durch marodierende Banden,
wie der "Mchedrioni" des wegen Raubmords vorbestraften Vizestaatschefs, Dschaba
Iosseliani, zum Erliegen kam, und die mit ihnen zusammenarbeitenden
Staatsorgane Georgien zu einem rechtsftreien Raum machten. Im gleichen Maße
stieg gegenüber Andersgläubigen die Unduldsamkeit der georgischen orthodoxen
Kirche und ihres Patriarchats, das eine maßgebliche Rolle beim bewaffneten
Putsch gegen Präsident Gamsachurdia spielte und ein loyaler Verbündeter dessen
Nachfolgers Schewardnadse war und ist.
1995 erhielt die orthodoxe georgische Kirche de-facto den Status eines
Staatskirche. Zwei Jahre später trat sie aus dem Welkirchenrat, dessen
jahrelanger Vorsitzender der KGB-Agent mit dem Decknamen "Iverieli" -- der
georgische Patriarch Ilia II -- war, aus. Nichtorthodoxe werden von ihr als
Sektierer bezeichnet und bekämpft, wobei ihr dabei die Polizei und
nationalistische Georgier zur Seite stehen. Gewalttätige Übergriffe auf
Andersgläubige, gewalttätige Auflösung ihrer Gottesdienste oder religiöser
Feiern und die Beschlagnahme und Verbrennung ihrer religiösen Literatur sind
keine Seltenheit. Bezeichnend ist der Brief des Patriarchen Ilia II vom
30.9.1995 an Staatschef Schewardnadse und an den Vorsitzenden des georgischen
Parlaments. Auszug:
"...
Wir machen uns Sorgen darüber, daß das Volk des unabhängigen Georgiens z.Zt.
von verschiedenen unwahren Lehren und Sekten angegriffen wird. ... Zu unserem
Bedauern, zogen sie schon viele Menschen auf ihre Seite. Das bringt große
Gefahr nicht nur für unsere nationale Einheit, Traditionen und Moral, sondern
auch für unsere Kultur und den wahren Glauben unseres Volkes. Das georgische
Volk ist seit Jahrhunderten ein Volk orthodoxen Glaubens. Das muss auch heute
so bleiben. Ein Mensch, der sich vom orthodoxen Glauben entfernt, ist für sein
Volk verloren. Die Georgische Kirche fordert die georgische Regierung auf, die
Tätigkeit der Sektierer und anderer religiösen Gemeinschaften in unserem Land
zu verurteilen, und ihre Tätigkeit als einen Angriff gegen das georgische Volk
einzustufen. Es müssen entsprechende Maßnahmen getroffen werden, die solche
Tätigkeiten in Georgien verbieten. ..."
Als Papst Johannes Paul II im November 1999 Georgien besuchte, warnte das
Patriarchat der Georgischen Orthodoxen Kirche in einer offiziellen Erklärung,
daß orthodoxe Gläubige eine Todsünde begehen würden, sollten sie an der
Papstmesse teilnehmen.
Die orthodoxe Kirche in Georgien trägt Mitschuld daran, dass die Jezidi an der
Ausübung ihrer Religion behindert, während ihrer religiösen Feste gestört,
jezidische Gräber geschändet werden. Sie trägt Mitschuld an der brutalen
Vertreibung der Jezidi aus Georgien, die in diesem Land zu den kleinsten und
schutzlosesten Gruppen gehören. Sie schwieg, während nationalistische Georgier
Jezidi nachstellten, Frauen und junge Mädchen vergewaltigten, die Jezidi mit
Gewalt aus ihren Wohnungen vertrieben, um sie zum Verlassen Georgiens zu
zwingen.
Die gleiche Mitschuld trägt der Staat, der den Nationalismus und Unduldsamkeit
gegenüber Andersgläubigen nährt. Ende 1991 gab es in Georgien noch über 4000
Familien der Duchoboren - einer kleinen russischen Religionsgemeinschaft
(Glaube ähnlich den Quakern in den USA), deren Vorfahren vor 150 Jahren vor der
Verfolgung durch die Russische Orthodoxe Kirche nach Georgien geflohen waren.
Anfang 1999 haben die letzten 60 Familien der Duchoboren Georgien verlassen, um
in Kanada eine sichere Zuflucht zu finden.
2.4 Nationalismus und die Armee
In
jedem Land sind die Streitkräfte das Spiegelbild der Gesellschaft in ihrem
Land. Der einzige Unterschied ist, daß das Austragen der gesellschaftlichen
Konflikte hier geballt und auf kleinstem abgeschotteten Raum geschieht, aus dem
eine Flucht unmöglich ist. Die aus der Sowjetarmee übernommene Verachtung der
Angehörigen nationaler geschweige denn religiöser Minderheiten seitens
Angehöriger der Titularnation ist infolge des wachsenden Nationalismus, der vor
allem im georgisch-abchasischen Bürgerkrieg seinen reichsten Nährboden hat, zu
einer Bedrohung für Rekruten nichtgeorgischer Abstammung geworden.
Viele Jezidi, die während dieses Bürgerkriegs zwangsrekrutiert wurden, gelten
seitdem entweder als vermißt oder wurden durch einen Schuß in den Rücken,
vermutlich von Militärangehörigen der eigenen Truppe, getötet. Jetzt, nachdem
man sie beinahe alle aus Georgien vertrieben bzw. zur Flucht aus dem Land
gezwungen hat, dringen über die wenigen noch dort Verbliebenen kaum
Informationen nach draußen.
Allerdings kann ein Blick auf die Lage anderer nationaler und religiöser
Minderheiten in dieser Hinsicht aufschlußreich sein. So hat z.B. die in
Georgien lebende aserische Minderheit (zählt ca. 250 000 Personen) 1998 die
Gesellschaft "Otan" gegründet, um ihre Rechte zu verteidigen. Am 16.2.1999
erklärte der "Otan"-Vorsitzende, Kamil Kiredschi, auf einer Pressekonferenz in
Baku/Aserbaidschan, daß in den georgischen Streitkräften die zügellose Gewalt
gegen Rekruten aserischer Herkunft dramatisch zugenommen habe. Er berichtete,
daß allein innerhalb der ersten Februar-Hälfte ca. 70 aserischstammende
Rekruten, die in Tiflis stationiert waren, infolge der Mißhandlungen und in
Angst um ihr Leben aus der Armee desertiert sind. Alle Beschwerden der "Otan"-Gesellschaft
an Präsident Schewardnadse und den Verteidigungsminister hätten zu keinem
Ergebnis geführt. (RFE/RL, Turan und ANS-Press, 17.2.1999.)
Die IGFM geht davon aus, daß die Lage der Rekruten-Jezidi die gleiche, wenn
nicht noch schlimmer ist, da die Jezidi, nachdem ihre Organisation "Ronai"
aufhörte zu existieren, kein Sprachrohr mehr haben, das die Öffentlichkeit auf
ihr Schicksal aufmerksam machen würde.
3. Das
Schicksal der jezidischen Kulturvereinigung "Ronai" ("Licht")
Nach dem Sturz des georgischen Parlaments, der Regierung und des Präsidenten am
6.1.1992 begann für die jezidische Minderheit eine schlimme Verfolgung, in
deren Folge ihr Sprachrohr, die "Ronai" zerschlagen wurde.
Im
Februar 1992 fanden beim "Ronai"-Vorstandsmitglied, Josef Akoew zwei
Hausdurchsuchungen statt, bei denen die gesamte jezidische Literatur vom
Geheimdienst und der Polizei beschlagnahmt wurde. Als Akoew dagegen scharf
protestierte, schlugen sie ihn mit Gewehrkolben zusammengeschlagen und nahmen
ihn "wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt" für drei Tage in Arrest. Er
verbrachte sie im Tifliser Untersuchungsgefängnis Ortatschala, wo man von ihm
mit Folter Aussagen über "Ronai"-Kontakte zu ausländischen Organisationen und
zu Anhängern des Präsidenten Gamsachurdia abpressen wollte.
Um
sich besser schützen und die Belange der jezidischen Religionsminderheit besser
vertreten zu können, beschloß daraufhin "Ronai", der Gesellschaft "Rustaweli"
beizutreten, deren damaliger Vorsitzender Ministerpräsident Tengis Sigua war. "Ronai"
erhielt ein Zimmer im Büro der Rustaweli-Gesellschaft. Während "Ronai" selbst
sich jetzt einigermaßen sicher fühlte, nahm die Verfolgung der Jezidi zu.
Allein im März und April 1992 hatten sich an "Ronai" über 500 Jezidi gewandt,
deren Beschwerden stets die gleichen waren: willkürliche Festnahmen,
Entführung junger Jezidinnen, die später vergewaltigt, entstellt und ermordet
aufgefunden wurden, Erpressung, gewalttätige Übergriffe, Beschlagnahme des
Eigentums, Vertreibung aus dem Eigenheim, Aufforderung zum Verlassen Georgiens.
Die Gesetzlosigkeit und Willkür der paramilitärischen "Mchedrioni" des
Vizestaatschefs Dschaba Iosseliani (vorbestraft wegen Raubmords an einer Jüdin,
1995-2000 inhaftiert wegen Attentats auf Präsident Schewardnadse), der
Nationalgardisten des damaligen Verteidigungsministers Tengis Kitowani und der
Miliz hatten zur Folge, daß immer mehr Jezidi, in Angst um ihr Leben, die
Flucht aus dem Land ergriffen.
Im
September 1992 versprach der damalige Vorsitzende der staatlichen
Menschenrechtskommission Georgiens, Sandro Kawsadse, unter dem Druck
ausländischer kurdischer Organisationen, deren Vertreter Georgien ausgesucht
hatten, Maßnahmen gegen die Verfolgung der Jezidi zu ergreifen und sich für die
Einleitung von Ermittlungen in Fallen der ungeklärten Morde an Jezidi
einzusetzen.
Gleich nach der Abreise der ausländischen Vertreter begann bei "Ronai" ein
Telefonterror mit Morddrohungen, die Fassade ihres Büros wurde mehrmals
beschossen, der 28jährige Jurist, Merab Namadow, zuständig bei "Ronai"
für Pressearbeit, wurde vor dem Hauseingang erschossen.
Im
Oktober 1992 wurde "Ronai"-Vorstandsmitglied, Josef Akoew, ohne
Begründung festgenommen, aufs Revier gebracht und dort verprügelt. Auf seine
Frage, warum man ihn so behandele, erhielt er als Antwort, daß er ein Kurde und
daher Gast auf georgischer Erde sei, und in Zukunft den Mund halten solle. In
die Wohnung seiner Schwester, Marina Tscholajan, drang eine bewaffnete
Gruppe ein, und forderte die Herausgabe von Geld und Schmuck. Als Frau
Tscholajan erklärte, daß sie nichts habe, überbrühten sie mit kochendem Wasser
ihre kleine Tochter Elisabeth.
Im
November 1992 wurde Akoew als erster der "Ronai"-Mitarbeiter in den
georgisch-abchasischen Krieg zwangseingezogen und nach Suchumi abkommandiert.
Ende Dezember 1992 wurde das "Ronai"-Büro überfallen, ausgeraubt und
zertrümmert, alle männlichen Mitarbeiter wurden in den Krieg zwangsrekrutiert.
Nur wenige kehrten zurück.
Im
Januar 1993 verhaften OMON-Sondermilizen das "Ronai"-Mitglied, Surik Matojan,
weil er als Redner auf einer Kundgebung der georgischen regimekritischen
Opposition auftrat. Er wurde zu 3 Jahren Haft verurteilt. Sein Sohn, Rafael
Aliew, der sich mit Fällen der im Abchasien-Krieg verschwundener
jezidischer Soldaden beschäftigte, wurde zwangsrekrutiert und in den
Bürgerkrieg geschickt. Nach seiner Rückkehr setzte er heimlich seine
Ermittlungsarbeit fort. Nach der Haftentlassung seines Vaters im Januar 1996
versuchten beide das "Ronai"-Presseorgan, "Die Stimme der Jezidi",
wiederzubeleben. Am 25.12. 1996 sollte sie nach über vier Jahren in einer
kleinen Auflage erscheinen und Ermittlungsergebnisse über drei Fälle
verschwundener Soldaten-Jezidi beinhalten. Dazu kam es nicht. Am gleichen Tag
wurden Vater und Sohn von der Polizei abgeholt, die sie verprügelte und befahl,
ihre Tätigkeit einzustellen. Kurze Zeit später starb Surik Matojan, sein Sohn
mit Familie mußte aus Georgien fliehen.
Dem "Ronai"-Vorsitzenden, Jurij Nabiew, gelang mit Josef Akoew
und Merab Schamoew die Flucht nach Moskau, wo sie im März 1993 eine
Assoziation der Jezidi in der GUS gründeten. Nachdem der Moskauer
Bürgermeister Luschkow nach dem Oktober-Putsch 1993 pogromartige Razzien
gegen "Personen kaukasischer Nationalität" durchführen ließ und deren
Ausweisung aus Moskau angeordnet hatte, tauchten die drei "Ronai"-Vorstandsmitglieder
unter.
Akoew schlug sich nach Armenien durch, wo er sich bis Februar 1994 in den
Ruinen des verlassenen Dorfes Getaschen, in denen seine Tante Zuflucht fand,
versteckt hielt. Dann ging er nach St. Petersburg. 1996 kehrte er heimlich nach
Georgien zurück, wo er sich bei Rustawi versteckt hielt. Mitte Juli 1996
verließ er mit Familie heimlich Georgien und gelangte über Kiew/Ukraine in die
Bundesrepublik Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, im Juni
1997 wurde er aus Bayern nach Georgien abgeschoben. Konkrete Angaben
darüber, was mit ihm nach Ankunft in Tiflis geschah, haben wir nicht. Wir
konnten nur in Erfahrung bringen, daß ihm die Flucht nach Armenien
gelungen ist, wo er sich in einem entlegenen Dorf bei Verwandten versteckt
hält.
Dort fand Zuflucht auch seine Schwester, Marina Tscholajan, die am
26.9.1996 aus München abgeschoben wurde. Nach Ankunft auf dem Tifliser
Flughafen wurde sie vom Sicherheitsdienst festgenommen, mehrere Stunden
verhört, ihre gesamte Habe beschlagnahmt. Mit der Begründung, sie habe
Heimatverrat begangen, kam sie vorübergehend in Untersuchungshaft. Zwei Tage
später setzte man sie auf freien Fuß mit dem Verbot, Tiflis zu verlassen, und
leitete gegen sie ein Verfahren wegen "Verletzung der Paßbestimmungen" ein.
Daraufhin floh sie zu ihrem Bruder nach Armenien.
4. Jezidische Flüchtlinge in
Deutschland
Abschiebung, weil die Auswärtige Amt ihre
Verfolgung leugnet
Die wenigen jezidischen Familien, die auf der Suche nach Zuflucht in die
Bundesrepublik Deutschland kamen, sind hier unwillkommen. Sie haben weder eine
politische Lobby noch ein Mutterland als Staatsgebilde und folglich kein
offizielles Sprachrohr, das ihnen in der Weltöffentlichkeit Gehör verschaffen
würde. Und ihre Organisation "Ronai", die für sie sprechen könnte, existiert
nicht mehr. Den Jezidi selbst schenkt man kaum oder kein Gehör, geschweige denn
Glauben, wenn sie deutschen Institutionen ihre Torturen schildern. Eine
federführende Rolle kommt hier dem Auswärtigen Amt zu.
Die IGFM musste feststellen, dass die durchgehend negativen Entscheide des
Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) und der
Verwaltungsgerichte ausschliesslich auf Lageberichten des Auswärtigen Amtes
beruhen, das die Verfolgung dieser Minderheit und auch sonstige schwere
Menschenrechtsverletzungen in Georgien konsequent leugnet und Beweise der
Menschenrechtsorganisation als "Gefälligkeitsauskünfte" verunglimpft. Dabei
stützt sich das Auswärtige Amt größtenteils auf Auskünfte, die es bei
staatlichen Behörden bzw. bei Regierungsorganen Georgiens einholt.
Mehr noch. Im Falle der Jezidi hat das Auswärtige Amt in seinem Schreiben vom
15.6.2000 (liegt der IGFM vor) eine unwahre Auskunft erteilt: Er behauptete,
das weltliche Oberhaupt der Jezidi, Herr Mir Tashin Said Berg, hätte
angeblich in seinem Gespräch mit dem Auswärtigen Amt am 9.5.2000 gesagt, dass
die Jezidi in Georgien (und Armenien) "nicht verfolgt" werden. Das Oberhaupt
der Jezidi hatte aber genau das Gegenteil gesagt - dass die Jezidi dort
zahlreiche Menschenrechtsverletzungen erleiden und diskriminiert werden.
Große Sorgen bereitet daher der IGFM das Schicksal der aus der Bundesrepublik
Deutschland abgeschobeben Jezidi, deren Asylantrag abgelehnt wurde. In den
meisten Fällen gelten sie als "verschollen". Einige Beispiele:
o
Am 17.11.1999 wurde Malchas
Galojan ohne seine Ehefrau nach Georgien abgeschoben. Am 18.11.1999 brachen
bewaffnete Polizisten die Tür seiner Wohnung ein, schlugen ihn zusammen und
forderten von ihm 5000 US-Dollar. Da er dieses Geld nicht hatte, brachten Herrn
Galojan zur Polizei, wo er in eine Zelle gesperrt wurde - bis er nicht gegen
die obige Summe freigekauft wird. Drei Tage später brachten seine Verwandten
2500 US-Dollar, die sie zusammen borgten, der Polizei. Er wurde mit der Auflage
auf freien Fuß gesetzt, den Rest der Summe zu beschaffen. Seine Ehefrau wurde
am 12.1.2000 nach Georgien abgeschoben. Kurz danach verlieren sich ihre Spuren.
o
S.Ch. (voller Name der IGFM bekannt) wurde etwa zur
gleichen Zeit nach Georgien abgeschoben. Seine Spur verliert sich am Tifliser
Flughafen. Man weiß nur, daß er nach Ankunft von georgischen Zollbeamten und
Angehörigen des Sicherheitsdienstes festgenommen wurde, die Geld von ihm
wollten.
o
A.O. (voller Name der IGFM bekannt) wurde am 5.9.1999
nach Tiflis abgeschoben und gilt seitdem als vermißt.
o
Rostam Issajew wurde Anfang 1999 nach Tiflis abgeschoben. Am Tag
seiner Ankunft wurde er von bewaffneten Uniformierten aufgesucht und abgeführt,
und gilt seitdem als vermißt.
Gegen die Lageberichte des Auswärtigen Amtes kann sich eine von ihm darin
verunglimpfte Menschenrechtsorganisation, geschweige denn ein Asylbewerber,
kaum wehren, da das Auswärtige Amt sie als "nur für den Dienstgebrauch" zulässt
und somit der Öffentlichkeit vorenthält. Andererseits ist der IGFM in keinem
Fall der zwangsabgeschobenen Jezidi bekannt geworden, dass das Auswärtige Amt
ihrem weiteren Schicksal in Georgien über seine Botschaft nachgegangen wäre.
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1) - Den Begriff "Swiadisten" erfand der georgische
Präsident Eduard Schewardnadse. Damit bezeichnet er nicht nur die Anhänger
seines Vorgängers, Swiad Gamsachurdia, sondern alle, die sein Regime ablehnen.
Westliche Politiker und Medien haben diesen Begriff übernommen, ohne sich der
Bedeutung im Klaren zu sein.
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